Gerissene Hauptschlagader, Herzstillstand: Toterklärter kämpft sich zurück ins Leben

Minden. Es ist ein verregneter Montagabend im November 2021. Das Telefon von Claudia Gutzeit will nicht aufhören zu klingeln. Laut der Uhr im Wohnzimmer ist es kurz nach 21 Uhr. Mehr als 14 Stunden steckt die Mindenerin bereits in einem wahrgewordenen Alptraum, der mit dem Anruf seinen traurigen Höhepunkt findet. &bdquo;Kommen Sie ins Krankenhaus. Sie müssen sich von Ihrem Mann verabschieden. Er wird die Nacht nicht überleben." Claudia Gutzeit lehnt ab. Sie kann es nicht, will es nicht. &bdquo;Es war nicht an der Zeit, dich gehen zu lassen", sagt sie und schaut ihrem Ehemann dabei in die Augen. Er lächelt, greift nach ihrer Hand. Uli Gutzeit ist am Leben. Und das gleicht einem Wunder.

Die Leidensgeschichte des Ehepaars beginnt am 7. November 2021. Furchtbare Rückenschmerzen reißen Uli aus dem Schlaf. Stöhnend vor Schmerzen geht er im gemeinsamen Haus in Dankersen auf und ab. Voller Sorge versucht seine Frau, einen Arzt kommen zu lassen. Erfolglos. Erst als der 62-Jährige das Bewusstsein verliert, rückt ein Rettungswagen aus. &bdquo;Es war klar, dass es etwas Schlimmes sein muss", erinnert sich Claudia Gutzeit.

Auf direktem Weg geht es ins Klinikum. Der Mindener kommt wieder zu Bewusstsein, wird sofort untersucht. Doch die Ärzte tun sich schwer. Sein Fall scheint kompliziert. Erst mit einer Computertomographie finden sie heraus, dass die Hauptschlagader von Uli Gutzeit gerissen ist. Er droht, innerlich zu verbluten. 98 Prozent aller Betroffenen versterben daran. &bdquo;Eine Ärztin sagte: ,Herr Gutzeit, es kann sein, dass Sie das nicht überleben. Damit hört meine Erinnerung auf."

Es folgt eine Not-Operation, in der versucht wird, einen Stent zu setzen. Aber die Blutung ist zu stark. Am Telefon wird Claudia Gutzeit über den gescheiterten Eingriff informiert. &bdquo;Wir versuchen es aber noch mal – also wenn Ihr Mann die nächsten 30 Minuten überlebt", sagt ein Arzt. Als nach einer halben Stunde kein weiterer Anruf kommt, weiß die Mindenerin, dass Uli wieder auf dem OP-Tisch liegt. Der Riss lässt sich wieder nicht reparieren. Und schlimmer noch: Mitten in der OP bleibt das Herz des 62-Jährigen stehen. Minutenlang muss er reanimiert werden. &bdquo;Hätten die Ärzte nicht so um sein Leben gekämpft, wäre er tot."

&bdquo;Bitte nehmen Sie jetzt Abschied" Zwar überlebt Uli Gutzeit die Operation, wird in den Abendstunden aber schwächer und schwächer. Bis schließlich um 21 Uhr die Bitte zum Abschiednehmen kommt. Claudia Gutzeit lehnt ab, glaubt an den Lebenswillen ihres Mannes – zu recht. Er überlebt die Nacht, wird am Morgen des 8. November in die Klinik der Medizinischen Hochschule Hannover geflogen. &bdquo;Den Hubschrauber habe ich auf dem Sofa sitzend starten hören", schildert sie.

Zur Überraschung der Ärzte übersteht der Musiklehrer den Flug ohne Komplikationen. In Hannover angekommen, wird er direkt noch einmal operiert. In einer Operation, die deutschlandweit nur etwa zehn Ärzte beherrschen, bekommt er eine Aorten-Prothese eingesetzt. Der Eingriff dauert den ganzen Tag, verläuft aber gut. Am 9. November um 0:11 Uhr bekommt Claudia Gutzeit den erlösenden Anruf: &bdquo;Er lebt", sagt ein Arzt nur.

In der Klinik in Hannover wird der Mindener sofort an die Ecmo angeschlossen. So werden Herz- und Lungenfunktion unterstützt. Tagelang liegt Uli Gutzeit an Schläuchen und Kabeln, ist nur selten bei Bewusstsein. Es dauert, bis er klar wird. Zwar ist er noch schwach, gegen eine Verlegung nach Minden spricht aber nichts. &bdquo;Erst nach etwa sechs Wochen stand fest, dass er die Aortenruptur überleben wird, dass er über den Berg ist", erzählt Claudia Gutzeit. Bis dahin wusste sie heute nicht, wie morgen ihr Leben sein wird. &bdquo;Ich wusste nicht, ob Uli vom Kopf her da ist. Ich wusste nicht, welche Schäden bleiben. Ich wusste nicht mal, ob er am Leben bleibt." Schon in dieser Zeit sucht sich die Mindenerin psychologische Hilfe. Das ist für sie ein wichtiger Schritt, um gut durch diese schweren Monate zu kommen.

Tränen auf der Intensivstation Auf der Intensivstation im Klinikum in Minden rappelt sich Uli Gutzeit langsam auf. Während er seinen Unterkörper noch nicht wieder bewegen kann, kehrt das Gefühl in die Hände zurück. In der Vorweihnachtszeit bekommt der 62-Jährige von seiner Ehefrau ein kleines Keyboard geschenkt. &bdquo;Er hat es sich aufs Bett gelegt und ohne ein Wort zu sagen, ,Lasst uns froh und munter sein gespielt. Die ganze Intensivstation hat geweint", erinnert sich Claudia Gutzeit.

Kurz bevor es für den Mindener in die Früh-Reha geht, erkennt seine Ehefrau Bewegungen in seinen Zehen. In der Einrichtung in Niedersachsen will die Oberärztin davon aber nichts wissen: &bdquo;Sie sind querschnittsgelähmt. Aber man kann im Rollstuhl ein erfülltes Leben führen", soll sie zu Uli Gutzeit gesagt haben. Die Neurologin habe nicht mit sich Reden, sich nur mit Videobeweis umstimmen lassen.

Diverse Male schaltet Claudia Gutzeit das Qualitätsmanagement ein, beschwert sich über die Arbeitsweisen. &bdquo;Es hat vier Monate gedauert, bis die Diagnose Querschnittslähmung korrigiert wurde." Für ihren Ehemann ist das kostbare Zeit. Nebenbei diagnostiziert man ihm eine Depression – &bdquo;bei so schweren Schicksalsschlägen sei es ja normal, dass man auch depressiv wird", habe die Ärztin ihm damals erklärt. Für die Gutzeits läuft die Behandlung am Patienten vorbei. Aber dabei sollte es nicht bleiben.

Corona, Krankenhaus-Keime und eine Lungenembolie Eine Erkältung entwickelt sich bei Uli zu einer Lungenembolie – &bdquo;an dem Tag als ich ihm erzählen wollte, dass ich einen Termin für die Hochzeit gefunden habe", erzählt Claudia. Zu allem Überfluss infiziert sich der 62-Jährige dann noch mit Corona. Die Erkrankung übersteht er gut. Vielmehr sind es die Krankenhaus-Keime, die sein Leben anschließend aufs Spiel setzen – &bdquo;ich bin gefühlt von einem halb toten Zustand in den nächsten gerutscht", sagt er. Stundenweise beträgt seine Körpertemperatur fast 41 Grad, sein Zustand ist kritisch.

Doch auch von diesem Rückschlag erholt sich Uli Gutzeit. Ende Juli, ein paar Wochen nach der Hochzeit am 9. Juli, wird er aus der Reha entlassen. An ein normales Leben ist aber nicht zu denken, noch immer ist er auf den Rollstuhl angewiesen. In Eigenregie haben der Mindener und seine Frau gemeinsam mit Freunden einen Hublift installieren müssen. Schließlich ist ihr Haus nicht ebenerdig. Kosten: 6.000 Euro. Einen Zuschuss von der Krankenkasse gibt es noch nicht. &bdquo;Der medizinische Dienst muss erst den Pflegegrad feststellen. Das kann bis zu fünf Monaten dauern", klagt Claudia Gutzeit. Solange fließt kein Geld. Das macht auch den Umbau hin zu einem behindertengerechten Badezimmer finanziell unmöglich. &bdquo;Der Tipp von der Reha-Einrichtung, ich könne meinen Mann ja erst mal im Pflegeheim parken, hilft da auch nicht", kritisiert die Mindenerin. Sie nimmt die Finanzierung jetzt selbst in Angriff, sammelt Spenden und per E-Mail an ugutzeit@gmx.de helfende Hände.

&bdquo;Sie hat mir mein Leben gerettet. Ich habe ihr alles zu verdanken." Die Mindenerin kämpft wie eine Löwin für ihren Ehemann. Sie scheut keine Diskussion, um ihm etwas Gutes zu tun. Hakt er im Gespräch mit einem &bdquo;Darf ich auch mal etwas sagen?" ein, entgegnet sie lachend &bdquo;Aber nur weil du im Rollstuhl sitzt, Hase", während ihre Lippen einen Kussmund formen. Das Miteinander der beiden sucht seinesgleichen. Die Dankbarkeit dafür ist Uli Gutzeit anzumerken. In einem Augenblick, in dem seine Frau ihm Kaffee holt, flüstert er mit Tränen in den Augen und brüchiger Stimme: &bdquo;Sie hat mir mein Leben gerettet. Ich habe ihr alles zu verdanken."

Das motiviert den 62-Jährigen, es wieder auf die Beine zu schaffen. Jeden Tag radelt er auf dem Heimtrainer drei Stunden – &bdquo;aus eigener Kraft", erzählt er stolz. In Herford bekommt er computergestütztes Training auf dem Laufband. &bdquo;Die Fortschritte sind gut, wir sind alle optimistisch." Für &bdquo;chronische Traurigkeit" sei in seinem Leben kein Platz. &bdquo;Wir müssen jeden Moment genießen, es kann viel zu schnell vorbei sein", betont der 62-Jährige und schiebt hinterher: &bdquo;Ich war ja tot, ich weiß wovon ich rede."

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