Lichtenaus vergessenes Genie: Das schillernde Leben von Einstein-Freund Archenhold

Lichtenau/Berlin. Sein Lebenswerk wird in Berlin jedes Jahr von zehntausenden Menschen bewundert - im Paderborner Land kennen ihn aber nur Insider. Friedrich Simon Archenhold war einer der bedeutendsten deutschen Astronomen, ein ganz Großer der Wissenschaftswelt Anfang des 20. Jahrhunderts. Aufgewachsen ist er in Lichtenau. Die Stadt machte ihn schon 1931 zum Ehrenbürger. Doch der Ruhm in der Heimat verblasst. Schüler wollen das verändern.

Lediglich eine Tafel am Geburtshaus an der Langen Straße 22 sowie eine Straße an Lichtenaus jüdischem Friedhof erinnern noch an den größten Sohn der Stadt. In Berlin ist der Name Archenhold dafür deutlich präsenter. Schließlich hat der Westfale zur Gewerbeausstellung 1896 dort das längste Linsenfernrohr der Welt bauen lassen und war Begründer der seit 1946 nach ihm benannten Archenhold-Sternwarte. Das Mega-Fernrohr ist bis heute als &bdquo;Himmelskanone“ mit 21 Metern Brennweite eine Attraktion im Stadtteil Alt-Treptow. Seit Neuestem trägt in Berlin auch eine Brücke den Namen Archenhold. Das hat aber nicht mit den Leistungen des Weltallforschers zu tun, sondern mit dem Leid, das seine jüdisch-stämmige Familie einst durch die Nationalsozialisten erfahren hat.

Blick zurück ins kleine Lichtenau des späten 19. Jahrhunderts: Archenholds Eltern betreiben im Dorf einen Landhandel, als Sohn Friedrich Simon am 2. Oktober 1861 im stattlichen Haus an der Langen Straße (damals Hauptstraße) zur Welt kommt. Zwei ältere Schwestern sind schon da. Im Haus mit Vater Moses - Vorsteher der jüdischen Gemeinde - und Mutter Rosa gibt es viel zu tun und viel zu erleben.

Lichtenau, Lippstadt, Straßburg, Berlin Friedrich Simon geht erst zur nahen Volksschule, danach zur Realschule 1. Ordnung nach Lippstadt. Sein Weg führt ihn dann aber in die weite Welt. Die Familie kann es sich leisten, den wissbegierigen jungen Mann zwischen 1882 und 1887 in Straßburg und Berlin studieren zu lassen. Unter anderem lernt er bei seinem späteren Förderer, dem Astronom Wilhelm Förster. Es ist der Beginn einer bemerkenswerten Karriere.

Auf den Spuren von Friedrich Simon Archenhold sind seit fast 50 Jahren Barbara (83) und Wolfgang Daum (81). Das Pädagogenpaar - er ursprünglich aus Mannheim, sie aus Berlin - kauft 1977 vom Fahrlehrer Cordes das Haus an der Langen Straße aus dem Jahr 1832. &bdquo;Ein Nachbar hat uns gefragt, ob wir überhaupt wüssten, was es damit auf sich hat“, erinnert sich Wolfgang Daum an erste Gespräche. Wussten beide nicht - und machten sich schlau.

So schlau, dass sie mittlerweile fast zur Familie Archenhold zählen. Die Daums - Mitgründer der Grünen in Lichtenau 1984 - haben inzwischen zwei Familienfeste der Nachkommen des Astronomie-Stars in Lichtenau ausgerichtet und sind längst gern gesehen Gäste der Berliner Archenhold-Sternwarte. &bdquo;Die erste Kontaktaufnahme war ein Besuch bei Günter, dem ältesten Sohn von Friedrich Simon, in Bolton“, erinnert sich Wolfgang Daum an eine England-Reise 1989 mit dem damaligen Ortsheimatpfleger Bernhard Kruse. Günter Archenhold (1904-1999) hatte 1931, acht Jahre vor dem Tod des Vaters, die Leitung der Sternwarte übernommen.

Lichtenaus Hauptschule trug Archenholds Namen Der Kontakt zu Günter Archenhold, inklusive eines Besuchs in Lichtenau, motivierte die Daums, am Ball zu bleiben. Ihr Anliegen ist es noch heute, den einst populären Wissenschaftler wieder bekannter zu machen. Ehre, wem Ehre gebührt: Sie haben eine Erinnerungstafel samt Kunstwerk in seinem Andenken am Haus angebracht. Die Realschule am Klimacampus, finden sie, müsste nach Archenhold benannt sein. Lichtenaus Hauptschule trug einst seinen großen Namen, die ist aber längst geschlossen. Die Straße am jüdischen Friedhof, wo noch das Grab seiner Mutter zu finden ist, heißt Simon-Archenhold-Straße. Merkwürdig ist, dass sie nur den jüdischen Namensteil &bdquo;Simon“ trägt und den ersten Vornamen &bdquo;Friedrich“ weglässt. Das führt zur Geschmacklosigkeit, dass sie im Volksmund auch &bdquo;SA-Straße“ genannt wird. Nicht nur die Daums reagieren darauf mit Kopfschütteln.

Aktuell freut sich das Paar jedoch auf den 13. Juni. An jenem Freitag soll in Lichtenaus Schulen ein Archenhold-Tag steigen. Endlich mal eine Initiative, sagen die Daums, um den großen Sohn der Stadt und des Paderborner Landes zu würdigen. Wie die Leiterin der OGS der Kilian-Grundschule, Martina Wolf-Sedlatschek, mitteilt, werden am 13. Juni die drei Lichtenauer Schulen einen Projekttag zu Archenhold durchführen. Die daraus entstehenden Exponate sollen beim Klostermannmarkt ausgestellt werden.

.responsive23-voABbaMaTJ4fnZyh-map-0531-lichtenau-geburtshaus { width: 100%; padding-top: 100%; } @media (max-width: 600px) { .responsive23-voABbaMaTJ4fnZyh-map-0531-lichtenau-geburtshaus { padding-top: 100%; } } @media (max-width: 360px) { .responsive23-voABbaMaTJ4fnZyh-map-0531-lichtenau-geburtshaus { padding-top: 142.86%; } } Die Idee dieses Tages hätte wohl auch Friedrich Simon Archenhold gefallen. &bdquo;Er wollte die Astronomie der breiten Bevölkerung vorstellen. Darum gründete er eine Volkssternwarte. Er hat auch das Marketing-Potenzial des Riesenfernrohrs erkannt“, weiß Wolfgang Daum aus vielen Schriften und Gesprächen. Archenhold sammelte Geld für seine Projekte bei privaten Gönnern. 1904 traf er auf einer Reise durch England und Schottland den US-Großindustriellen Andrew Carnegie, der ihn später bei Forschungen finanziell unterstützte. Begegnungen gab es auch mit dem amerikanischen Glühbirnen-Erfinder Thomas Edison sowie mit Astronom und Mathematiker Simon Newcomb aus Kanada. Die Western University in Pennsylvania verlieh ihm sogar die Ehrendoktorwürde.

Archenhold lud Albert Einstein ein Die Ernsthaftigkeit der Wissenschaft blieb Archenhold stets ein Anliegen. Er selbst beschäftigte sich wissenschaftlich unter anderem mit Sonnenflecken und atmosphärischen Erscheinungen wie leuchtenden Nachtwolken. Immer wieder holte er aber auch prominente Forscher für Auftritte in seine Berliner Sternwarte. Der bekannteste war Albert Einstein. Auf Archenholds Bühne hielt der Physiker und spätere Nobelpreisträger am 2. Juni 1915 den ersten populärwissenschaftlichen Vortrag über die Relativitätstheorie.

Archenhold selbst gab zusammen mit seinem Sohn Günter die astronomische Zeitschrift &bdquo;Das Weltall“ heraus. Gebundene Exemplare haben die Daums in Antiquariaten gefunden. Auch im Alter blieb der Gründer &bdquo;seiner“ Sternwarte verbunden. Doch die Machtergreifung durch die Nationalsozialisten Anfang 1933 änderte fast alles im Land - und erschütterte auch die Wissenschaft. Familie Archenhold durfte die Sternwarte ab 1936 nicht mehr betreten, aus ihrer Wohnung wurde sie ebenfalls vertrieben. Friedrich Simon sei immer mehr verbittert und enttäuscht gewesen, heißt es in Berichten.

Die Söhne Günter und Horst (&bdquo;Fred“) flohen zwar schon vor dem Tod des Vaters 1939 ins englische Exil, doch die schlimmsten Gräuel der Nazis gegen seine jüdisch-stämmige Familie, obwohl zum Protestantismus konvertiert, musste Friedrich Simon Archenhold nicht mehr miterleben. Im Konzentrationslager Theresienstadt wurden seine Tochter Hilde und seine Frau Alice Opfer des Regimes. Die Eheleute Daum aus Lichtenau erzählen, dass wohl zunächst nur die Tochter deportiert werden sollte. Die Mutter wollte das Mädchen jedoch nicht alleine gehen lassen - und folgte ihr damit in den Tod. Die Archenhold-Töchter Lilli und Ilse überlebten die Schreckensjahre wie Günter und Horst. Mittlerweile ist schon die Enkelgeneration im Seniorenalter.

Neue Archenhold-Brücke in Berlin Im Gedenken an die Familie des Sternwartengründers sind 2023 vor deren Eingang Stolpersteine verlegt worden. Zudem wurde in Berlin ein Weg am Bahnhof Oberspree nach Alice Archenhold benannt. Und seit November trägt eine neugestaltete Fußgänger- und Radfahrerbrücke in Berlin-Adlershof den Namen Hilde Archenholds.

Die Eheleute Daum waren natürlich vor Ort und hoffen darauf, dass der anstehende Archenhold-Tag in Lichtenau den Anstoß für eine angemessene Würdigung des Astronomen auch in dessen Heimat gibt.

Lichtenaus vergessenes Genie: Das schillernde Leben von Einstein-Freund Archenhold

Astronom Friedrich Simon Archenhold wuchs in Lichtenau auf

Sternwarte: Warum Elon Musk dem Lemgoer Klaus Eikmeier in Namibia in die Quere kommt

Drohendes Hochschul-Aus: Ziehen Höxters Professoren bald in diese Container ein?

Weihnachtslieder im Stadion: Warum singen wir so gern im Rudel?

Zu hoch, zu eng, zu viele Autos: Protest gegen Bauvorhaben in Bielefelder Wohngebiet

Schüsse auf offener Straße in OWL: „Müssen uns an solche Szenen gewöhnen“

Lippische Landes-Zeitung: Nachrichten aus Lippe, OWL und der Welt

Weiterlesen mit LZplus

0,99 € im ersten Monat

Angebot: Jahresabo nur 99 €