Warum das Bürgermeisteramt in OWL an Attraktivität verliert

Bielefeld. Wer hat denn schon Lust, sich auf den langen und beschwerlichen Weg ins Bürgermeisteramt zu machen und das bei nur geringen Aussichten auf Erfolg? Fragt einer, der es wissen muss. Er selbst will lieber anonym bleiben, so stressig und belastend sei es für seine Frau gewesen, als die in einer OWL-Kommune kürzlich kandidiert hat.

Er selbst arbeitet als Trainer und Coach in der politischen Bildung. &bdquo;Ich kann verstehen, dass immer weniger Leute sich engagieren wollen“, sagt er. &bdquo;Da müssen Sie sehr viel aushalten können.“ Und auf dem Weg gebe es kaum finanzielle Anreize, denn die Aufwandsentschädigung für Ratsmitglieder sei sehr gering. Er habe fünf Euro Stundenlohn errechnet.

Ganz resigniert hat er dennoch nicht. Denn: Es gebe auch viele Gegenbeispiele von Städten und Gemeinden, in denen mehrere Kandidaten antreten. Nicht jedoch, in Borgholzhausen (Kreis Gütersloh), Lichtenau, Büren (Kreis Paderborn), Steinheim (Kreis Höxter), Petershagen (Kreis Minden-Lübbecke) und Dörentrup, Lügde (Kreis Lippe).

Attacken auf Politiker nehmen zu Der Politik-Coach will die Verantwortung dafür nicht allein der Digitalisierung zuschreiben, auch wenn viele Attacken über Social Media-Kanäle wie Facebook, YouTube und Instagram erfolgten. Auf den Kanälen hätten Einzelkandidaten aber auch die Chance, auf sich aufmerksam zu machen und für sich zu werben. &bdquo;Da braucht es dann Menschen, die dafür geeignet sind.“ Als sehr negativ empfindet der Mann es, dass nicht nur die Meinung angegriffen werde, sondern gleich der ganze Mensch persönlich.

Kritisch betrachtet die Entwicklung der Zeithistoriker Peter Fäßler von der Universität Paderborn. Er macht zwei Gründe dafür aus, dass die Zahl der Kandidaten und Kandidatinnen für politische Ämter abnimmt. Erstens die verschärften Debatten und Anfeindungen. Zweitens, dass in modernen individualisierten Gesellschaften die Bereitschaft, sich zu engagieren, insgesamt gesunken ist. Fäßler: &bdquo;Auch in anderen Bereichen wie dem Sportverein und anderen Organisationen ist der Rückzug ins Private zu beobachten.“

Sind wenige Kandidaten eine Gefahr für die Demokratie? Außerdem sei das Aufregungspotenzial gestiegen. &bdquo;Ich rate dazu, mal die Kirche im Dorf zu lassen und eine ruhigere sachliche Diskussionsatmosphäre zuzulassen.“ Man sollte nicht bei jeder Meinungsverschiedenheit gleich durch die Decke gehen.

Der Wissenschaftler sieht allerdings in den Möglichkeiten von Social Media ein Problem. In den 70er-Jahren sei auch kontrovers gestritten worden zum Beispiel über den Abtreibungsparagrafen 218. Da gab es die anonymen Beschimpfungen und Kampagnen im Internet jedoch noch nicht und man habe schließlich einen sachlichen Weg gefunden. Ist es denn eine Gefahr für die Demokratie, wenn nur noch wenige Menschen sich für politische Ämter zur Verfügung stellen? Und drohen Weimarer Verhältnisse, die schließlich zum Nationalsozialismus geführt haben? Eine Studie in Frankreich hat ergeben, dass die Wahlbeteiligung höher ausfällt, wenn mehrere Kandidatinnen und Kandidaten zur Auswahl stehen.

Der Historiker Fäßler: &bdquo;Manche Konstellationen erinnern tatsächlich an Weimar ohne Internet.“ Aber Deutschland habe einen &bdquo;demokratischen Erfahrungsschatz“. &bdquo;Das ist ein Pfund, aber keine Garantie dafür, dass es gut geht.“ Der Stresstest für die Gesellschaft könne kommen, wenn es sozial schwieriger werde mit Arbeitslosigkeit und Armut. &bdquo;Dann ist es offen, ob die Demokratie das Rennen gewinnt.“

Der Job als Bürgermeister wird unattraktiver Die Volkswirtin Kirsten Witte sieht in mangelnden Wahlalternativen ebenfalls eine Gefahr für die Demokratie: &bdquo;Der Sinn von Demokratie ist es, Auswahlmöglichkeiten zu haben.“ Die Expertin der Bertelsmann-Stiftung macht neben dem rauen Umgang weitere Ursachen für den Kandidatenmangel aus. &bdquo;Die Stimmung in den Kommunen ist schlecht und der Gestaltungsspielraum geringer geworden.“

Bürgermeisterinnen und Bürgermeister seien zu Mangelverwaltern geworden und dienten gleichzeitig als Ansprechpartner für alles, was nicht funktioniert. &bdquo;Dann wird es unattraktiv, das zeitintensive Amt anzustreben.“ Hinzu komme, dass Bürgermeister für alles in Haftung genommen werden könnten, auch juristisch. Und das bei überschaubarem Verdienst. &bdquo;Da müssen Bund und Länder die Rahmenbedingungen verbessern und nicht Aufgaben durchreichen, ohne für die finanziellen Mittel zu sorgen.“

Witte sieht auch die Bürgerinnen und Bürger in der Pflicht. &bdquo;Die sollten wertschätzender mit den Amtsträgern umgehen.“ Denn wenn die Rahmenbedingungen stimmten, könne das Amt ein Traumjob mit Gestaltungsmöglichkeiten sein.

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