Fünf Menschen, zwei Hunde, 35 Quadratmeter: Stemweder Familie wohnt auf einem Segelboot

Stemwede. Die Reise von Familie Brömstrup beginnt mit einem Rückweg. 24 Stunden dauert die Autofahrt aus dem Kroatien-Urlaub 2022, genug Zeit, die schönen Segelausflüge Revue passieren und den Wunsch reifen zu lassen: Ein eigenes Boot und die Welt bereisen, das wäre es! Jonathan, 32, Erzieher und bis zum Abenteuer auf dem Segelboot Kita-Leiter in Osnabrück, spricht von Freiheitsdrang, einer Lust am Reisen, die in jedem Menschen stecke.

&bdquo;Wir sind beide früh Eltern geworden“, sagt Denise. Die 31-jährige Rettungssanitäterin hat drei Kinder, Marlon, der älteste, ist zwölf und stammt aus einer früheren Beziehung. Mit der fünfjährigen Marielle und dem &bdquo;Reisekind“ Malia, zwei, sind sie nun eine Patchwork-Familie.

Dass große Reisen mit Kindern nicht unbedingt einfacher werden würden, sei ihnen bewusst gewesen. Und dass man als Bootsbesitzer eigentlich Lotteriemillionär sein müsse, haben sie geglaubt. Trotzdem haben sie sich danach bei Kleinanzeigen-Portalen im Internet nach Segelbooten umgeschaut und festgestellt, dass sie überraschend erschwinglich seien.

Erstes Boot der Stemweder Familie ist ein Reinfall

Zwei Wochen später kauften sie ihr erstes Boot. 3.000 Euro. &bdquo;Wir sind Emotionskäufer“ gibt Jonathan zu. Sich mit der Kraft der Natur bewegen, das koste gar nichts. Aber günstige Boot seien mit viel Arbeit verbunden, der Preis der Schnäppchen. &bdquo;Egal wie oft wir die Schrauben abgedichtet haben, irgendwo ist es dann doch wieder reingeregnet“, sagt er.

Außerdem haben sie rasch festgestellt, dass das Boot eigentlich zu klein für sie sei, Malia sei in der Zeit auf die Welt gekommen. Bald haben die Brömstrups es verkauft und sich für den zweiten Versuch einen Anspruchskatalog vorbereitet. In einer schlaflosen Nacht, in der Jonathan die kleine Malia durchs Wohnzimmer getragen habe, sei er schließlich auf die Anzeige gestoßen.

Das perfekte Boot, ein Zweimaster, groß genug, ein Eigenbau für 4.000 Euro. &bdquo;Das war schon eineinhalb Wochen online, wir haben damit gerechnet, dass wir eh keine Chance mehr haben und schon tausend Leute interessiert sind“. So, wie die beiden erzählen, klingt es wie der Kampf um einen begehrten Besichtigungstermin der Traumwohnung.

Leben auf dem Boot als &bdquo;Familientherapie“

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Jonathan habe trotzdem, noch in der Nacht geschrieben, und am frühen Morgen Rückmeldung bekommen. Der Kaufdruck durch verschiedene Interessenten sei tatsächlich immens – wer zuerst komme, mahle zuerst. Schließlich kaufen sie das Boot am Telefon.

Sie taufen es &bdquo;Tortuga“, spanisch für Schildkröte. Und restaurieren es in jeder freien Minute. Sie schleifen, tragen alte Lackschichten ab und neue, spezielle Bootslacke auf, bereiten in nervenzehrender Kleinarbeit den Dieselmotor auf, investieren mehr als den Kaufpreis in eine Rettungsinsel, Solarpaneele und Batteriemodule.

Und irgendwann fahren sie los. &bdquo;Fertig werdet Ihr nie sein“, zitieren sie Bekannte, die selbst ein Boot haben – und sie ermutigt haben, es nicht bis ins letzte Detail perfektionieren zu wollen. Stattdessen wagen sie das &bdquo;Experiment Familientherapie“, wie Jonathan formuliert. Sie legen aus dem niederländischen Delfzijl ab, im Bewusstsein, nun zu fünft – mit den Sennenhunden Phoebe und Olaf zu siebt – auf engstem Raum zusammenzuleben. Marlon und Marielle in einer Kajüte, Jonathan und Denise mit Nesthäkchen Malia in einer zweiten.

Wetter und Gezeiten statt Kalender- und Wochentage

Dass man auf einem Boot wohnt, merke man oft an Kleinigkeiten, gerade zu Beginn. &bdquo;Die Frühstückseier kullerten über den Tisch“, erzählt Denise - und in abgeklärtem Ton: &bdquo;Da ist schon so viel durch die Gegend geflogen, Du machst dir kein Bild!“ . Einmal sei ein Küchenschrank nicht richtig verriegelt gewesen, der Verschluss eines Riesenglases mit Reis habe sich gelöst. &bdquo;Das war vor vier Monaten“, sagt sie trocken, &bdquo;Noch immer finden wir manchmal Reiskörner in den Rillen“.

Dafür erleben sie Einmaliges: Ein Rudel Delfine, das ihr Boot durch die Biskaya begleitet und über Denise zu wachen scheint. Die Abkehr von Kalender- und Wochentagen, die sich nach einer Weile auf dem Boot einstellt – nur noch Gezeiten und Wetter zählten.

Das Ankern vor einer einsamen, spanischen Insel, einen Strand für sich allein. Die Tour von der Ria de Arousa, einer großen Meeresbucht im Nordwesten Spaniens zu einem Berg, wo die Familie in einem Quellfluss in den natürlich ausgeformten Steinbecken badet. Der Geruch der Eukalyptuswälder, intensiv, fruchtig, blumig.

Die guten Zeiten sind schöner, die schlechten härter Solche Erfahrungen, beschreibt Jonathan, seien nicht einfach schöne Urlaubserlebnisse; bis sie zusammen über die Steine im Flussbett rutschen konnten, das sei eine Errungenschaft, etwas, was sie als Familie gemeinsam gemeistert hätten. &bdquo;Ein Erfolg!“, sagt er. Diese guten Zeiten erlebe man so viel intensiver.

Probleme würden dafür schnell elementar: Vor Cascais, einer Küstenstadt westlich von Lissabon sei der Wind plötzlich viel heftiger gewesen als vorhergesagt, bei heftigem Seegang das Steuerrad kaputtgegangen. &bdquo;Was ist, wenn man es nicht direkt reparieren kann?“, erinnert sich Jonathan an die damaligen Sorgen. Auf dem kleinen Raum, 35 Quadratmeter (Deck inklusive) bekomme jeder die Stimmung des anderen mit, auch wenn das Boot mit sieben Türen schon verhältnismäßig viel Rückzugsmöglichkeiten böte.

Denise und Jonathan sind Autodidakten, scheinen handwerklich begabt. Am Steuer sei lediglich das Kettenschloss defekt gewesen, das passende Ersatzteil zur Hand. Mit jeder Reparatur würden sie angstfreier, würden das Boot noch besser kennenlernen, Stück für Stück jedes Teil einmal unter die Lupe nehmen.

Selbstverständliches wird plötzlich aufwendig Anderes, Selbstverständliches hingegen, wird auf dem Boot plötzlich aufwendig. Ausgerechnet Wasser ist eine knappe Ressource. Brauchwasser könne man in einer Marina mit dem Schlauch auffüllen. Für Trinkwasser hingegen müssen 5-Liter-Kanister an Brunnen gefüllt oder gekauft und dann aufs Boot geschleppt werden. Wäschewaschen heißt: Sämtliche Wäschestücke zusammensammeln, packen und bis in den Waschsalon transportieren. Abhängig sein vom Wetter, denn die Wäscheleine lässt sich nur zwischen den Stahlseilen an Deck spannen.

Beide, Denise und Jonathan, haben ihre Arbeitsstellen in Deutschland gekündigt – jobben tun sie nebenbei, dort, wo sie gerade sind. Mal gemeinsam wie die Arbeit auf der portugiesischen Fruchtfarm, Feigen trocknen und die Bewässerung vorbereiten. In der Zeit haben sie bei dem Bauern in einem Zelt geschlafen, das Boot untervermietet. Momentan streicht Jonathan eine Finca, vorher habe er Mangos gepflückt, Denise hat einen Job in der Pflege. Eine konkrete Frist, bis sie zurückkehren, haben sie nicht und das scheinen sie zu genießen.

&bdquo;Momentan sind wir in der Findungsphase“, sagt Jonathan. Der Autopilot würde nicht funktionieren, mit ihm kann man auch lange Törns entspannt segeln. Bekämen sie den auf Vordermann, würden sie die Kanarischen Inseln ansteuern, Denise möchte endlich das lang zurückliegende Besuchsversprechen einlösen, das sie einem Bekannten gegeben habe. Über den Rückweg scheinen sie sich noch keine Gedanken zu machen.

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