NRW-Ministerin: „Es ist nicht in jeder Kommune Drama oder Stillstand“

Frau Ministerin Scharrenbach, stecken die Kommunen in der größten Krise der Nachkriegszeit?

Ina Scharrenbach: Im vergangenen Jahr lag das bundesweite Minus bei fast 25 Milliarden Euro. Das ist das höchste Finanzierungsdefizit seit der deutschen Wiedervereinigung. Zwei Jahre zuvor waren es noch minus 7 Milliarden. Eine Verdreifachung des Defizits innerhalb von 12 Monaten verdeutlicht die angespannte Lage.

Die Städte und Gemeinden in NRW weisen seit Jahren auf eine &bdquo;dramatische“ Lage hin. Warum lassen Sie sie in diese Krise schlittern?

Immer von einem Drama zu sprechen, ist auch nicht gut. Es geht im Übrigen auch nicht allen Kommunen gleich schlecht. In einigen entwickelt sich die Gewerbesteuer unverändert gut. 2017 haben die Kommunen erstmals seit der Finanzkrise 2008/09 wieder über alle Haushalte eine schwarze Null geschrieben. Bis 2022 gab es eine stabile Phase kommunaler Finanzen mit steigenden Überschüssen. Die haben die Städte auch genutzt, um erheblich mehr zu investieren. Trotzdem haben sie damals gesagt, dass das Geld nicht reiche und sie nicht vorankommen würden. Ich habe dann immer entgegnet, dass nach guten Jahren auch mal schlechte kommen werden. Das ist ab 2022 eingetreten. Da kippte die Lage und in 2024 ging es stark ins Minus. Wie immer im Leben gibt es ein Auf und ein Ab.

Wenn Sie das aber doch auch so sehen, warum lassen Sie die Städte ins Minus rutschen?

Ob man das jetzt hören will oder nicht: Das wachsende Defizit hängt insbesondere mit der Ausweitung von sozialen Leistungen zusammen. Sei es durch die Erhöhung von Regelsätzen, Änderungen beim Bürgergeld, Kosten für Unterkünfte oder Eingliederungshilfe. Das sind Bundesregelungen. Mit der Ampel-Koalition fand ein Raubzug durch die Kassen der Kommunen statt, der bis heute anhält. Hinzu kommt, dass die wirtschaftliche Lage derzeit nicht gut ist.

Diesen scharfen Vorwurf müssen Sie erklären, schließlich führt Ihre CDU ja die Bundesregierung an . . .

Die Bundesregierung ist die Erste seit Langem, die das Thema Sozialstaatsreform ernsthaft angehen will. Nicht, um Menschen etwas wegzunehmen, sondern um die soziale Sicherung in Deutschland auf tragfähige Grundlagen zu stellen. Das ist auch im Interesse nachfolgender Generationen.

Warum verweisen Sie so viel auf den Bund? Das Defizit der Kommunen in NRW ist pro Kopf höher als in anderen Ländern . . .

NRW hat den höchsten Kommunalisierungsgrad aller Bundesländer. Über Jahrzehnte wurden den Kommunen durch die SPD-geführten Landesregierungen Aufgaben übertragen, die anderswo das jeweilige Land selbst macht. Aber: Es rutschen jetzt erstmals auch Kommunen aus Bayern und Baden-Württemberg ins Minus. Darum geht es mir: Es ist kein NRW-Phänomen. Es sieht bundesweit aktuell schlecht aus.

Sie würden also nicht sagen, dass Sie als Land ihre Kommunen unterfinanzieren?

Wir stellen für NRW im nächsten Jahr 16,8 Milliarden Euro über die Gemeindefinanzierung zur Verfügung sowie Milliarden zusätzlicher Zuweisungen. Das ist sehr, sehr viel Geld. Hinzu kommt die Altschuldenlösung, die wir als erste Landesregierung überhaupt auf den Weg bringen – eine Milliardenentlastung für Kommunen in der Summe. Zusätzlich kommt der NRW-Plan für gute Infrastruktur, unter anderem mit 10 Milliarden Euro Pauschalzuweisungen an die Kommunen.

Bund und Land zeigen oft auf den anderen. Braucht es klarere Zuständigkeiten?

Im Bund zahlt der, der ein Gesetz vollzieht. Im Land zahlt der, der das Gesetz bestellt. Das ist der Unterschied. Deshalb war es im Bundes-Koalitionsvertrag auch so wichtig, hier Pflöcke einzuschlagen. Es gibt daher einen Meilenstein. Darüber wurde bloß kaum berichtet. Der Bund kommt für die Steuermindereinnahmen der Kommunen im Zuge des Investitionsboosters des Bundes auf und wird 14 Milliarden Euro ausgleichen. Das ist das erste Mal, dass eine Bundesregierung etwas in dieser Massivität auf den Weg bringt. Letztlich braucht es aber eine Sozialstaatsreform. Sonst bekommen wir die Ausgaben nicht mehr in den Griff.

Die Kommunen in NRW fordern aber mehr Geld . . .

Es ist zu unterkomplex, einfach nur mehr Geld zu fordern. Die Ausgabenseite ist das Problem. Deshalb ist es wichtig, dass über Reformen gesprochen wird und Reformen auch kommen.

Na ja, aber was soll eine klamme Kommune denn noch umstellen, wenn sie auf Dauer zu wenig Geld bekommt?

In der Tat ist in vielen Kommunalhaushalten die Luft raus. Und bei anderen Kommunen gilt: Vielleicht haben wir alle miteinander in den guten Zeiten ein bisschen das Sparen verlernt. Es ist völlig normal, dass es auch mal Zeiten mit weniger Geld gibt. Die Bürger kennen das. Wenn ich weniger Geld habe und bereits alle Einsparmöglichkeiten nutze, muss ich mich mit Strukturen vor Ort beschäftigen. Sind wirklich alle Dinge, die ich tue, effizient? Es gibt in NRW immer noch Kommunen, die erst jetzt überlegen, ob sie Aufgaben mit Kommunen zusammenlegen sollten. Das hat was mit Effektivität zu tun. Da ist bei einigen noch Luft.

Trotzdem droht Kommunen flächendeckend die Haushaltssicherung. Das zeigt ja, wie ernst die Lage ist . . .

Haushaltssicherung ist nichts Schlimmes. Sie bietet einer Kommune die Chance, sich noch mal dezidiert mit der eigenen Finanzplanung und Stadtorganisation auseinanderzusetzen. Wenn man ein Projekt verschieben muss, ist das kein Beinbruch. Wir haben die großen kommunalen Herausforderungen immer gemeinsam gemeistert. Auch das Geld aus dem Sondervermögen wird ja dazu führen, dass vor Ort weiter investiert werden kann. Es ist also nicht überall Drama und auch nicht überall Stillstand. Es gibt in der Politik Phasen von Selbstmitleid, aber irgendwann muss damit Schluss sein. Dann muss man nach vorne schauen und entscheiden: Was machen wir und was können wir uns aktuell vielleicht nicht leisten?

Aber viele Kommunen sagen, dass sie schlichtweg nicht weiter sparen können. Dann braucht es doch eine höhere Grundfinanzierung. Werden Sie den Verbundsatz erhöhen, also den kommunalen Anteil aus dem Steuertopf?

Nein. Wir können den Verbundsatz schlicht aus Gründen des Landeshaushalts nicht erhöhen. Alle, die das aktuell fordern, müssen mir die Frage beantworten, welcher Bereich dafür zurücktreten und einsparen soll. Kitas, Schulen, Bahn, Straße? Wir haben im Landeshaushalt große Ausgabenblöcke, die man nicht mal eben abschalten kann.

Zahlen zeigen, dass das Defizit der Kommunen in NRW fast 6 Milliarden beträgt – das des Landes aber nur 800 Millionen Euro. Das ist also nicht gleichmäßig verteilt . . .

Dieser Vergleich hinkt. Die Kommunen bilanzieren anders. Wir als Land machen zum Beispiel keine Abschreibungen auf Immobilienwerte. Wir nehmen erhebliche Kreditmittel, also Schulden, auf, um den Haushalt auszugleichen.

Sie schwärmen vom größten Investitionsprogramm in der NRW-Geschichte, geben aber tatsächlich nur 60 Prozent des Sondervermögens an Kommunen weiter, also rund 13 Milliarden. Selbst davon fließen nur 10 Milliarden direkt an die Kommunen, also 48 Prozent. Warum stecken Sie den Rest in Fördertöpfe?

10 Milliarden pauschal ist schon eine große Nummer. Hinzu kommen 2,7 Milliarden Euro über erhöhte Förderprogramme. Mithin 60 Prozent von 21,1 Milliarden Euro, die NRW aus dem Sondervermögen erhält. Man muss das Geld vor Ort auch verbauen können. Förderprogramme haben eine lenkende Wirkung. Und es gibt nun mal Sonderbedarfe. Die kann man nicht pauschal bedienen, da sie nicht jeder hat. Es gibt Großinvestitionen, die punktuell im Land nötig sind, aber nicht in allen 396 Städten und Gemeinden. Dafür gäbe es weder Bedarfe noch ausreichend Geld.

Werden Sie Milliarden aus den Fördertöpfen einfach behalten und den Kommunen gar nicht weiterleiten?

Nein. 60 Prozent aus dem Sondervermögen gehen an die Kommunen, 40 Prozent an das Land. So ist es gesagt, so wird es umgesetzt.

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