Im Detmolder Grabbe-Haus explodiert der Wald

Detmold. Schauspieler in Creme erwartet man nicht, wenn es um die Darstellung von Bäumen geht. Braun, ja, Grün auch. Aber ein so helles, durchsichtiges Outfit? Ungewohnt und doch passend. Denn Paul Enev, Ewa Noack, Katharina Otte und Emanuel Weber, vier Schauspieler des Landestheaters Detmold, stellen nicht nur Bäume dar: Sie sind Rehbock und gräfliche Waldbesitzerin, städtischer Gärtner und verzweifelte Mieterin, Forstarbeiterin und nagende Käferin, TV-Moderator, Cajus Julius Caesar und sein Begleiter Plinius. Eine illustre Gesellschaft im Schauspiel &bdquo;Wald“, das im Grabbe-Haus Premiere feierte.

Es beginnt mit einer Buche auf einem Balkon, die binnen Tagen eine stattliche Größe von zwei Metern erlangt. Die Mieterin ist verzweifelt - der Baum muss weg! Die Bürokratie lässt sie im Regen stehen (wobei doch Dürre herrscht): Die städtische Gärtnerei ist nur für öffentliche Parks zuständig, die Forstarbeiterin hat zu viel zu tun - und es wird noch mehr werden. Denn plötzlich ist die ganze Stadt, halb Europa zugewuchert. Durch den Unterbau der Städte, jede Ritze und Spalte, bahnt sich das Grün unaufhaltsam seinen Weg.

Wo man hinschaut, Bäume, ganze Wälder, Pilze, Kleinstlebewesen, die Natur erobert ihr Terrain zurück. Ewa Noack als Bambi - eben noch als Forstarbeiterin im Kampf gegen das Gestrüpp, jetzt mit Geweih-Haarreif - freut so viel heimatliches Grün. Caesar und Plinius, aus der römischen Geschichte ins Stück gepurzelt, indem sie rasch eine Toga überwerfen, sehen ihre schöne Straße vor lauter Bäumen nicht mehr.

Die zwei Schauspieler und zwei Schauspielerinnen schlüpfen im Minutentakt in wechselnde, teils widersprüchliche Rollen. Das allein sorgt für skurrile Szenen auf der Bühne: Ein Gehrock übergestreift, schon wird Emanuel Weber vom stattlichen Terrassenbaum zur Gräfin, die die Kosten dieser Waldexplosion auf keinen Fall tragen wird. Man fürchtet um die Holzpreise, während die Käferin ob des köstlichen Nahrungsüberflusses genüsslich schmatzt und immer mehr Bäume ihre Stimme erheben.

Die Menschen werden vor lauter Bäumen in die Nebenrolle gedrängt. Paul Enev ist der gefühlvolle, pflanzenliebende Gärtner, im nächsten Moment der TV-Sensationsreporter, der von chaotischen Zuständen in Paris berichtet, wo der Eiffelturm überwuchert ist. Eben noch schwingen alle vier Darsteller wie im Rausch die Stihl-Kindersäge gegen den Wildwuchs, im nächsten Moment wird die Mieterin (Katharina Otte) beinahe romantisch - verliebt in ihre Balkon-Buche, die sie nun vor der Säge retten will.

Das Stück von Miriam V. Lesch, das im Grabbe-Haus Premiere feierte (Regie: Hannah Frauenrath/Dramaturgie: Magdalena Brück), thematisiert Klimawandel und Waldsterben, Migration und Betonwüsten in Großstädten mit einer gehörigen Prise Humor und Poesie - und an einigen Stellen ein bisschen mahnend.

Minimalistisch wie die Kostüme ist auch das Bühnenbild von Victoria Unverzagt, welches die überbordende Waldlandschaft nur andeutet: Ein paar überdimensionale grüne &bdquo;Badvorleger“ werden von den Schauspielern auf die Bühne getragen, an die Wand gehängt, auf den Boden gelegt. Die blassen, in creme gewandeten Bäume breiten ihre Arme aus und flüstern ihren Lebenskreislauf mantraartig in die Welt: Wasser, Nährstoffaufnahme, Photosynthese...

Intensiv und dicht ist die Handlung des Stücks, das im vergangenen Jahr am Oldenburgischen Staatstheater uraufgeführt wurde. Dort war die Presse unter anderem von den fantastischen Kostümen begeistert. Die Detmolder Inszenierung hat das gar nicht nötig. Allein der schnelle Rollenwechsel der vier hervorragenden Schauspieler, die absurden Szenen und komischen Dialoge unterhalten das Publikum eine Stunde lang überaus kurzweilig - was beweist: Weniger ist manchmal mehr.

Weitere Vorstellungen in Detmold: 29. und 31. Januar, 2., 7., 12., 16. und 22. Februar, sowie am 9. März. Tickets ab 22 Euro gibt es unter Tel. (05231) 974-803 oder www.landestheater-detmold.de

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