Auf Kurzurlaub im Salzufler Erlebnisgradierwerk

Bad Salzuflen . Ein Gefühl, als ob man einen begehbaren Kühlschrank betritt: Doch das Übertreten der Schwelle ins Innere des Erlebnis-Gradierwerks in Bad Salzuflen katapultiert den Gast nicht nur klimatisch in eine andere Welt. Es wird dunkel, überall Holzbalken und so seltsam schraffierte Wände. Sonnenlicht scheint durch Schlitze. Das Atmen wird freier, es riecht nach Meer. Ein Ganzkörpererlebnis – gerade im Sommer.

&bdquo;Wollen wir direkt mal in die Sole-Nebelkammer?“ Oliver Müterthies , Technischer Leiter der städtischen Gebäudewirtschaft, leitet gleich über zur nächsten Attraktion. Doch zuerst geht es durch den &bdquo;Bauch“ des Gradierwerks. Und in der Mitte wird es hell. Man tritt fast nach draußen, wenn man das &bdquo;Fenster“ zum Kurpark erreicht. Dieses war beim Bau des Gradierwerks durchaus umstritten. Denn der Vorgängerbau von 1867 hatte ein solches Fenster nicht. Doch heute ist der Durchblick sehr beliebt. Das belegen allein die vielen Passanten, die davor stehen und entweder Richtung Kurgastzentrum oder Richtung Kurpark blicken.

Eine Schippe feuchter Doch nach dem kleinen &bdquo;Lichtblick“ wird es schnell wieder dunkel. Das Schummrige des Gradierwerks hat den Besucher schnell wieder umzingelt. Bis eine Tür auftaucht. &bdquo;Achtung, jetzt wird es noch mal eine Schippe feuchter“, warnt Müterthies vor. Die Tür geht auf und man sieht: erst mal nichts. Sofort hat den Eintretenden eine Nebelwand umhüllt. An den Seiten ist schemenhaft orangenes Licht zu erkennen.

Ob sich noch andere Menschen in dem Raum aufhalten? Zu sehen ist nichts. &bdquo;Hallo, ist da noch wer?“, lautet die fast hilflose Frage. &bdquo;Ja, hier“, lautet die Antwort. Aber wo ist hier? Erst bei näherem Hereintasten bilden sich sitzende Körper im Nebel ab. &bdquo;Man sollte sich hier nicht länger als 20 Minuten aufhalten, so lautet jedenfalls die Empfehlung“, sagt Müterthies . Die Sole ist in der abgeschlossenen Kammer in der Luft noch einmal deutlich höher dosiert. Bei sanfter Musik und farbig wechselndem Sternenhimmel entspannen wir in einer der Sitznischen.

Blickdichter Nebel &bdquo;Mit jedem Atemzug wirken die belebenden Mikropartikel entzündungshemmend und wie eine Wohltat für Haut und Atemwege“, schreibt das Staatsbad zu der Wirkung. &bdquo;Stimmt“, lässt sich bereits nach einigen Minuten sagen. Düsen zerstäuben die gereinigte Sole in der Kammer in Mikropartikel. Dadurch entsteht der blickdichte &bdquo;Nebel“, und die heilsame Wirkung der Sole potenziert sich beim Einatmen. Tief ein- und wieder ausatmen, tief ein- und wieder ausatmen. Und so weiter und so weiter. Die Kammer selbst kommt einem übrigens deutlich größer vor als die 45 Quadratmeter, die sie misst. Bis zu 30 Menschen können gleichzeitig in ihr Platz nehmen .

Ein Highlight der Kammer sind die handgefertigten orangenen Leuchten in Tropfenform aus Murano-Glas aus der Lagune von Venedig. Leider gibt es im Zusammenhang mit den spektakulären Lichtspendern auch eine sehr traurige Geschichte: Im September 2019 drangen Randalierer nachts in das Gradierwerk ein, sie zerstörten mehrere Türen und zerschlugen die fünf mundgeblasenen großen Gläser in Tropfenform. Der Schaden damals: rund 10.000 Euro, schätzte die Polizei. Die Täter wurden nie gefasst.

Konstruktionsfehler macht Sanierung nötig Seitdem haben Staatsbad und Stadt besondere Sicherheitsvorkehrungen getroffen und ein spezielles Alarmsystem eingebaut. Apropos Alarm: Die 20 Minuten sind herum, und es geht wieder heraus aus der Sole-Kammer. Die Augen müssen zwinkern, wenn es zurück durch das &bdquo;Fenster“ des Gradierwerks in Richtung Eingang geht. Aber ein weiterer Höhepunkt folgt noch: Über eine Treppe geht es hinauf Richtung Terrasse. Doch zuerst lassen sich die Stützkonstruktionen im &bdquo;Giebel“ des Gradierwerks praktisch aus nächster Nähe bestaunen. Auch hierzu gibt es eine besondere Story: denn die &bdquo;oberste Etage“ des Bauwerks ist bereits einmal ausgetauscht worden. Grund hierfür war ein Konstruktionsfehler des 2007 eröffneten Gradierwerks.

Es war ein Schock für die Verantwortlichen von Staatsbad und Stadt, als 2017 erhebliche Mängel an tragenden Teilen des damals gerade mal zehn Jahre alten Erlebnisgradierwerks festgestellt wurden. Eine Komplettsperrung war die Folge, bis neue Stützkreuze im Inneren eingebaut wurden.

Bei der Konstruktion des Erlebnisgradierwerks war nach Erkenntnissen der Stadt offenbar die historische Konstruktion des Vorgängerbauwerks von 1767 übernommen worden. Mit der Folge, dass Feuchtigkeit und Schmutz zu den tragenden Balken durchdrangen. Diese verfaulten binnen weniger Jahre und waren zuletzt nicht mehr tragfähig. Bei einer ersten Sanierung wurden 100 tragende Balken aus Lärchenholz unter der Terrasse eingebaut, die heute durch eine wasserdichte Zwischendecke vor Witterungseinflüssen geschützt sind. Die Gesamtkosten der Maßnahme, die vor zwei Jahren abgeschlossen wurde, betrugen rund 680.000 Euro.

"Nicht schlecht - oder?" Doch genug der Euro, jetzt zählt nur die Lage und die Aussicht. &bdquo;Oben“ auf dem Gradierwerk angekommen kann das Auge aus circa 10,50 bis 11 Metern Höhe – je nachdem, wie groß man selber ist – über den Kurpark, das Gradierwerk-Ensemble auf dem &bdquo;Roten Platz“ und bis zu Innenstadt mit dem markanten Stadtkirchen-Turm schweifen.

&bdquo;Nicht schlecht – oder?“ Oliver Müterthies übt sich in typisch lippischer Euphorie. Der Blick ist eher grandios als &bdquo;nicht schlecht“. Eine &bdquo;Rooftop-Bar“ wäre keine schlechte Ergänzung, denkt der Redakteur. Aber wir sind ja hier im Auge des Orkans eines der größte Heilbäder Deutschlands. 65 Quadratmeter misst die hölzerne Aussichtsplattform. Es ist also genügend Platz für mehrere Schaulustige gleichzeitig. Doch in diesem Moment sind trotz Traumwetter gerade nur zwei Menschen hier oben. Dazu ist es hoch oben über dem Kurzentrum bemerkenswert still. Ein magischer Ort.

Die Historie Wir schreiben das Jahr 1767: Neun Jahre vor der Gründung der Vereinigten Staaten von Amerika errichtet Freiherr von Beust in Salzuflen ein Gradierwerk. Damals als Außenanlage des 1945 stillgelegten Salzwerks. Das Gradierwerk diente damals schlicht dazu, den Salzgehalt der Sole anzureichern. Und im Salzwerk musste weniger Holz verfeuert werden, um das Salz zu sieden. 237 Jahre später stellen die Verantwortlichen von Stadt und Staatsbad fest, dass das Gradierwerk am Kurpark nicht mehr zu retten ist. Es besteht akute Einsturzgefahr.

2004 wird die große Holzkonstruktion abgebrochen. Doch anders als beim ebenfalls abgebrochenen Gradierwerk an der Goethestraße entscheidet sich der Rat nach kontroverser Debatte dafür, das Gradierwerk am Kurpark wieder aufzubauen. Begehbar, mit einer Sole-Kammer und einem großen &bdquo;Fenster“ zum Kurpark. Die Kosten: rund eine Million Euro. 2007 war Eröffnung. Seitdem besuchen außerhalb von Corona bis zu 30.000 Gäste pro Jahr das 80 Meter lange Bauwerk, das zu den modernsten seiner Art in Europa zählt.

Über alle Bad Salzufler Gradierwerke rieseln pro Jahr 73.000.000 Liter Sole (73 Millionen!). Geregelt wird der Zufluss über bis zu 1000 handbetriebene Wasserhähne. Der Eintritt in das Erlebnisgradierwerk kostet 3,50 Euro. Wer die &bdquo;Salzuflen-Card“ besitzt oder eine Kurpark-Tageskarte (4 Euro) erworben hat, kommt für 2 Euro hinein. Geöffnet ist in der Kursaison täglich von 10 bis 18 Uhr.

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