Einsam an den Feiertagen? Was jeder Lipper laut Sozialarbeiterin Kanbal dagegen tun kann

Dörentrup / Barntrup/ Lemgo. Die Feiertage stehen vor der Tür. Und während die einen sich fragen, wie sie all die Besuche bei Familie und Freunden bloß unter einen Hut bringen sollen, herrscht bei den anderen im Terminplan gähnende Leere. Die kann besonders wehtun, wenn der normale Alltag wegfällt - und alle Welt gefühlt im Kreise der Liebsten sitzt. Müssen die von Einsamkeit betroffenen Menschen einfach mit dieser schweren Zeit allein klarkommen?

Das sieht Esra Kanbal, die für das Projekt &bdquo;Soziale Dorfentwicklung“ seit einem Jahr für die Gemeinden Dörentrup und die Stadt Barntrup vor allem mit Seniorinnen und Senioren arbeitet , anders. &bdquo;Ein deprimierender Gedanke“, findet die 47-Jährige. Sie denkt auch an Jüngere, die vielleicht gerade eine Trennung durchmachen, in einer Lebenskrise stecken. &bdquo;Allein da durch zu müssen und ,schon irgendwie klarzukommen’ - eigentlich sollte das nicht nötig sein“, wünscht sich Kanbal mehr Mitmenschlichkeit.

Für sie geht es an Weihnachten vor allem darum, füreinander da zu sein. &bdquo;Sich selbst verschenken, die Zeit, die man dem anderen widmet - das, finde ich, ist der eigentliche Geist von Weihnachten. Nicht nur teure Geschenke und vor dem Fernseher chillen!“ Sie lacht.

Sich selbst einen Ruck geben Die Mutter zweier Söhne ist in diesen Tagen eigentlich nicht im Dienst. Doch es passt zu ihr, dass sie sich trotzdem Zeit nimmt, sich über das Thema Einsamkeit zu unterhalten - und bis kurz vor dem Termin auch noch E-Mails beantwortet hat. Kanbal brennt für ihr Thema, und sie sprüht vor Ideen. &bdquo;Es gibt nichts Gutes, außer man tut es“, zitiert sie Erich Kästner und damit ihr Lebensmotto.

Bei einer Tasse Tee berichtet sie in ihrem Wohnzimmer davon, wie jeder Einzelne die &bdquo;Epidemie der Einsamkeit“ in seinem Umfeld bekämpfen kann. Vorweg gesagt: Für Kanbal geht es vor allem darum, sich einen Ruck zu geben, zu sagen: &bdquo;Ich mache das jetzt.“

So wie sie vor über zehn Jahren, als sie mit einigen Kommilitonen aus dem Studiengang Soziale Arbeit in Bielefeld eine Weihnachtsaktion auf die Beine stellte. An Heiligabend verteilten sie gemeinsam belegte Brötchen, Obst, Zahnbürsten und gespendete Kleidung an Bedürftige. Ein paar Gleichgesinnte zu finden sei nicht das Problem, findet sie.

&bdquo;Einen Raum öffnen“ Sie appelliert an Vereine, Gemeinden und sonstige Institutionen, an Heiligabend und Silvester Räume der Begegnung bereitzustellen. &bdquo;Es gibt immer zwei, drei Ehrenamtliche, die vielleicht selbst allein wären und bereit sind, sich zu kümmern“, ist ihre Erfahrung. Einen großen Topf Suppe zu kochen, einen Punsch anzubieten und ansonsten einfach den Raum für alle zu öffnen, die kommen möchten - &bdquo;eigentlich keine große Sache, aber so wichtig für die, die sonst alleine wären.“

Der Bedarf, sagt sie, ist groß. &bdquo;Ich weiß von vielen, die von sich sagen: Ich werd allein bei mir zu Hause sitzen.“ Die dann denken würden: &bdquo;Wieder ein Jahr vorbei ohne meinen Willi oder ohne meine Gertrud. Die nur noch mit ihren Erinnerungen leben.“ Am liebsten würde sie Lippe-weit ein Konzept umsetzen, das sie im Prinzip fertig im Kopf habe: Eine besondere Art des Wichtelns, bei der die Teilnehmenden, wie oben beschrieben, kein Geschenk, sondern sich selbst in Form von Zeit zu Weihnachten verschenken.

Organisieren würde sie das über die Gemeinden und die dort bereits registrierten Ehrenamtlichen. Die kooperierenden Vereine sollten dann den Teilnehmern, wenn sie ein, zwei oder drei Personen zu den Feiertagen aufnehmen, auch eine Aufwandsentschädigung zahlen, etwa für die Mehrkosten für das Essen. &bdquo;Warum nicht?“, meint Kanbal, &bdquo;für andere Dinge ist ja auch Geld da, und Teilhabe sollte uns das wert sein.“

Einen Gutschein schreiben Aber kann es nicht auch unangenehm sein, eine Nachbarin oder einen Nachbarn einfach so zu Weihnachten einzuladen? Esra Kanbal kennt solcherlei Berührungsängste selbst nur bedingt, doch sie hat Verständnis für die Hemmschwelle. &bdquo;Ich würde einfach leger, nett und höflich einen Gutschein schreiben mit Adresse und Uhrzeit. Über ,ein schönes Essen für Sie an Heiligabend’, und den würde ich dann unter der Tür hindurchschieben.“ Ihr Gesicht erhellt sich, während sie daran denkt.

Eine kleine Geste, doch allein bei der Vorstellung, was sie beim Gegenüber auslösen dürfte, macht sich schon Rührung breit. &bdquo;Dieses Stückchen Glück und Gemeinschaft - das können und sollten wir doch unabhängig von unserem Ego hinbekommen“, animiert Kanbal. &bdquo;Stellen Sie sich vor: Von den Leserinnen und Lesern setzen das 100 in die Tat um und laden jeweils zwei Personen ein!“

Dass man die Person vielleicht gar nicht so gut kenne oder Angst vor dem Unplanbaren habe, lässt Kanbal als Ausrede jedenfalls nicht so recht gelten. &bdquo;Das sagen Leute, die in den 80er- oder 90-Jahren noch fröhlich beim Trampen zu Fremden ins Auto gestiegen sind.“ Sich hinter die Fassade der eigenen (Klein-)Familie zurückzuziehen, sei doch auch kein Garant für Harmonie.

Werte vermitteln Seinen eigenen Kindern oder Enkeln könne man durch eine solche Aktion aus ihrer Sicht jedenfalls wichtige Werte vermitteln. &bdquo;Mein Sohn war 14 Jahre alt, als er Heiligabend mit mir am Bahnhof Brötchen verteilt hat“, erinnert sie sich. Er habe seinen Freunden davon erzählt. Die reagierten skeptisch. Doch der Teenager sei stolz auf seine Mutter gewesen. &bdquo;Wir müssen die Stigmatisierung der anderen aufgeben“, findet Kanbal, die selbst als türkisch-stämmige &bdquo;bunte Lipperin“, wie sie sich nennt, schon oft in einer Schublade landete.

Und wenn der Nachbar die Gutschein-Einladung, aus welchen Gründen auch immer, nicht annimmt? Kanbal zuckt mit den Schultern. &bdquo;Dann“, sagt sie und zuckt lächelnd mit den Schultern, &bdquo;bringen wir ihm die Suppe eben in der Tupperschüssel bis an die Tür.“ Eine letzte Anmerkung möchte sich Kanbal noch erlauben: Die beschriebene Haltung wäre etwas fürs ganze Jahr, nicht nur für die Feiertage. &bdquo;So wie die Gesten von Mutter- oder Valentinstag auch an anderen Zeitpunkten gern gesehen sind“, sagt sie mit einem Augenzwinkern.

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