Sternekoch und Landfrau diskutieren über die Regionalität von Lebensmitteln

Detmold. Bei einem typisch lippischen Gericht denken die meisten Menschen wohl sofort an Pickert. So auch Sternekoch Jan Diekjobst aus Detmold und Landfrau Marlies Witte aus Bad Salzuflen. Ob sie diesen selbst gern essen, wie wichtig ihnen die Regionalität von Lebensmitteln ist und noch vieles mehr rund um das Thema Ernährung haben sie im Gespräch mit der Lippischen Landes-Zeitung verraten.

Was ist denn eigentlich Ihr Lieblingsessen?

Marlies Witte : Linsensuppe. Und wenn ich die zubereite, dann sagen meine Kinder heute noch, dass ich mehr davon kochen soll, damit sie auch etwas abbekommen.

Jan Diekjobst : Wenn es kalt ist, dann könnte ich jeden Tag Grünkohl essen - jeden Tag (lacht). Und ich liebe die breite Bandnudelsuppe von meiner Mama. Mit ganz viel frischem Gemüse.

In Ihren beiden Antworten spielte jetzt die Mutter oder auch das Muttersein eine Rolle. Das Lieblingsessen hat auch immer etwas mit einem Gefühl von Zuhause oder einer Emotionalität zu tun, oder?

Jan Diekjobst : Absolut. Wenn ich jetzt an die Bandnudelsuppe von Mama denke, dann weiß ich sofort, wie die schmeckt, wie die riecht, wie sie die zubereitet. Und das ist ja auch Heimat und Emotionalität. Wenn ich sie koche, dann schmeckt sie immer anders als von meiner Mutter. Die von Mama schmeckt am besten.

Was ist für Sie typisch lippische Küche? Sind sie selbst damit aufgewachsen?

Marlies Witte : Pickert gehört natürlich immer dazu. Den gab es früher bei uns auch. Ich habe den immer gerne gegessen.

Jan Diekjobst : Ich glaube, das ist unser National-Heiligtum, da sind wir Lipper superstolz drauf. Meine Mutter sagt immer "mit toten Fliegen oder ohne" (lacht) – also mit Rosinen oder ohne.

Marlies Witte : Dann noch Eintöpfe und Himmel und Erde mit gebratener Blutwurst. Vieles was meine Mutter gekocht hat, habe ich auch nachgekocht. Aber ich probiere auch gern Neues aus. In meiner Kindheit wurde zuhause auch noch geschlachtet. Ich durfte immer die Wurstemühle drehen, das war ein Highlight (lacht). Es gab auch einen großen Gemüsegarten. Von daher wurde immer regional und saisonal gegessen. Das ist mir auch heute noch wichtig.

Jan Diekjobst : In meiner Kindheit war es so, dass man nur einmal in der Woche Fleisch gegessen hat. In diese Richtung bewegen wir uns auch gerade wieder. In den letzten Jahrzehnten hingegen haben wir ein absolutes Konsumverhalten erlebt. Es sollte eigentlich normal sein, nicht übermäßig viel Fleisch zu essen. Man muss immer auch bedenken, dass es Lebewesen sind, die für unser Wohlbefinden gestorben sind.

Essen Sie selbst Fleisch?

Jan Diekjobst : Ja, ich esse gerne mal ein Steak. Aber meine Partnerin und ich kochen zuhause zu 90 Prozent vegetarisch, nicht weil wir Vegetarier sind, sondern weil es einfach gesünder ist.

Marlies Witte : Ja, aber heute viel seltener als früher, wo auf dem Hof noch viel körperlich gearbeitet wurde. Im Restaurant finde ich es toll, wenn es Alternativen zum Steak gibt, denn an einem Tier gibt es viele unterschiedliche Teile, die auch verwertet werden sollten. Letztens habe ich geschmorte Ochsenbäckchen mit Rosmarinsauce gegessen, sehr lecker.

Sind Sie auch zuhause der Chef in der Küche, Herr Diekjobst ?

Jan Diekjobst : Nein, da kocht größtenteils meine Partnerin. Sie ist eine wirklich fantastische Köchin. Sie studiert Architektur, also auch ein kreativer Kopf. Ich koche meist sonntags und montags etwas für uns. Dann gibt es aber auch keinen Hummer oder sowas.

Sondern?

Jan Diekjobst : Das können dann auch einfach mal ein paar Vollkorn- oder Dinkelnudeln mit Pesto oder Schafskäse sein.

Frau Witte , Sie waren für den Westfälisch-Lippischen Landfrauenverband auch schon als Botschafterin für heimische Agrarprodukte unterwegs. Was genau haben Sie da gemacht?

Marlies Witte : Bei den Menschen das Bewusstsein für regionale Produkte geweckt. Sei es im Lebensmittelhandel, in Betrieben oder Schulen und Kindergärten. Wir sensibilisieren dafür, bewusster einzukaufen. Sich die Frage zu stellen, wo kommen diese Produkte eigentlich her.

Wie wichtig ist Ihnen Regionalität und Saisonalität, Herr Diekjobst ?

Jan Diekjobst : Wir achten hier im Restaurant natürlich so gut es geht darauf. Doch leider sehen Theorie und Praxis oft anders aus.

Was ist Theorie? Und was ist Praxis?

Jan Diekjobst : Auch ein Erzeuger aus der Heimat muss seine Produkte schon oftmals aus dem Großmarkt dazukaufen, um der Nachfrage gerecht zu werden. Ich würde liebend gerne mit den Jungs vom Martinshof in Horn-Bad Meinberg zusammenarbeiten. Ich liebe die Tiere und die Qualität, die die haben. Aber ich brauche halt auch 15 Rinderfilets pro Woche, die können ja nicht jede Woche zehn Rinder für mich schlachten. Ich muss meinen Gästen aber immer die gleiche Top-Qualität anbieten, da kann ich nicht zwei Wochen Fleisch vom Martinshof und zwei Wochen Fleisch vom Großmarkt kaufen.

Marlies Witte : In einem Restaurant leuchtet mir das auch total ein, dass bei den Mengen, die Produkte gar nicht immer regional zu beschaffen sind.

Herr Diekjobst , Sie kaufen also auf dem Großmarkt ein. Wissen Sie denn, woher die Produkte genau stammen?

Jan Diekjobst : Ja, das ist mir wichtig. Wenn wir zum Beispiel Fleisch aus Spanien oder Argentinien beziehen, dann achten wir schon darauf, was für ein Hof das ist und wie die Tiere dort gehalten werden. Wir haben auch mal beispielsweise eine Himbeere aus Spanien hier. Da müssen wir uns nichts vormachen, dass die Produkte größtenteils aus beheizten Gewächshäusern kommen, weil die Felder so schwierig zu handhaben und so arbeits-, zeit- und kostenintensiv und auch klimaabhängig sind. Ich wünschte mir auch, dass ich im Hinterhof meine eigenen Sachen anbauen könnte. Aber das ist eben Theorie und Praxis. Nichtsdestotrotz achten wir dort, wo es geht, extrem auf Regionalität.

Und wobei ist das?

Jan Diekjobst : Beim Frühstück und in unserem Café. Wir kriegen die Brötchen von Mickel Biere, den Aufschnitt vom Detmolder Wochenmarkt, unsere ganzen Wurstspezialitäten kommen von der Fleischerei Jobst, die Eier von Greg Egg, wir haben Lagenser Fruchtsäfte, wir kochen unsere Marmeladen selbst.

Gefühlt sind die Vegetarier und Veganer in den letzten Jahren deutlich mehr geworden. Ist das auch in Ihrem Restaurant ein Thema, Herr Diekjobst ?

Jan Diekjobst : Ja, das ist schon mehr geworden. Auch mit den ganzen Unverträglichkeiten, deren Namen man in meiner Kindheit noch nicht einmal kannte. Aber darauf können wir reagieren. Wir haben zwölf Gerichte auf der Karte, davon sind drei mit Fleisch. Ein Vegetarier kann ohne Probleme ein Vier- oder Sechs-Gang-Menü bei uns bestellen. Oftmals fragen wir auch schon bei der Reservierung, ob es Unverträglichkeiten gibt, und können dann variieren.

Marlies Witte : Neulich habe ich mich mit einer jungen Frau unterhalten, die davon erzählte, dass sie selbst Lebensmittel einkocht. Auch Hochbeete werden wieder vermehrt angelegt. Ich glaube, auf so etwas wird wieder mehr Wert gelegt. Ob es dauerhaft ist oder ein Trend, bleibt abzuwarten.

Was denken Sie, woran liegt das?

Jan Diekjobst : Ich glaube einfach, dass auch aufgrund der Pandemie in den letzten Jahren ein Umdenken stattgefunden hat. Mehr Qualitätsbewusstsein. Auch jetzt, wo alles teurer wird, können sich die Leute den Restaurantbesuch nicht mehr so oft leisten. Ich denke, dann gehen die Menschen lieber einmal etwas teurer und gut essen, statt dreimal schlecht. Auch bei privaten Einkäufen setzten die Leute wieder mehr auf Bioprodukte.

Marlies Witte : Da muss ich leider widersprechen. Gerade im letzten Jahr war das sehr rückläufig, da die Menschen Angst vor den hohen Energiepreisen hatten. Bioprodukte mussten entsorgt werden, ebenso wie Regionales wie zum Beispiel Spargel und Erdbeeren, die zugekauft aus dem Ausland leider oft billiger waren.

Oft wird gesagt, dass gesundes Essen zugleich auch teuer ist. Hängt gesunde Ernährung also von der Größe des Geldbeutels ab?

Marlies Witte : Ich glaube nicht, dass es etwas mit dem Geld zu tun hat. Vielleicht ist oft auch das Wissen darüber einfach nicht da. Wir Landfrauen setzen uns auch dafür ein, dass die Alltagskompetenz als Fach in der Schule etabliert wird. Wir hatten früher noch Hauswirtschaft in der Schule, heute gibt es das oft nicht mehr so. Zu Anfang der Pandemie hat der Kreis Lippe eine Plattform für Familienangebote ins Netz gestellt und wir Landfrauen aus Lippe haben erprobte Rezepte geliefert, um Familien zu motivieren, mit ihren Kindern gemeinsam zu kochen. Diese Rezepte sind auch auf unserer Homepage zu finden.

Hand aufs Herz - essen Sie auch manchmal Fast-Food ?

Jan Diekjobst : Vielleicht zwei bis drei Mal im Jahr. Ich versuche schon, auf die Ernährung zu achten. Wenn ich das mal mache, dann ist es eine absolute Selbstbelohnung. Dann hole ich mir mal einen Döner, aber bei Mc Donalds oder so esse ich auf keinen Fall, weil es auch einfach nicht gut gemacht ist. Dafür habe ich ein zu hohes Maß an Qualitätsbewusstsein.

Marlies Witte : Bei mir kommt das auch sehr selten vor.

Welchen Stellenwert hat Essen in Ihrem Leben?

Marlies Witte : Mittlerweile lebe ich alleine, da geht das mit dem Essen kochen oft schnell. Aber mir ist schon wichtig, dass ich etwas Frisches mit guten Lebensmitteln zubereite. Dass ich jetzt einmal im Monat ganz toll Essen gehe, das ist nicht der Fall. Aber ich bin jetzt neugierig auf den Detmolder Hof geworden, ich komme demnächst mal vorbei (lacht).

Jan Diekjobst : Gerne (grinst).

Und wie sieht es bei Ihnen aus, Herr Diekjobst ? Was bedeutet Essen für Sie?

Jan Diekjobst : Essen, Lebensmittel und Ernährung sind mir sehr wichtig. Privat laden wir regelmäßig Freunde zu uns ein und kochen etwas zusammen. Oder wir gehen etwas essen. Ich glaube, nichts verbindet so schön, wie gemeinsames essen.

Als Sternekoch können Sie es beurteilen. Sind die Lipper Gourmets?

Jan Diekjobst : Als ich den Laden übernommen habe, habe ich schon überlegt, ob Lippe solch ein Restaurant verträgt. Nach knapp zwei Jahren Sternerestaurant können wir ein großes Ausrufezeichen dahinter setzen. Das verträgt Lippe sehr gut, weil wir unglaublich viele Stammgäste haben und viele Leute, die einfach Lust auf gute Qualität, auf gutes Handwerk und auch guten Service haben. Wir versuchen ebenso zu etablieren, ein Restaurant für Jedermann zu sein, deswegen haben wir auch ein Wiener Schnitzel auf der Karte.

Das sind Marlies Witte und Jan Diekjobst persönlich Marlies Witte (60) ist auf dem elterlichen Hof in Wüsten aufgewachsen. Sie absolvierte eine Ausbildung zur Meisterin der ländlichen Hauswirtschaft. Später übernahm sie mit ihrem Mann den Betrieb ihrer Eltern. Es entstand ein Mutterkuhbetrieb im Nebenerwerb, den seit ein paar Jahren ihr Sohn bewirtschaftet. Marlies Witte ist Mutter von drei erwachsenen Kindern. Zudem arbeitet sie als Tagesmutter. Bei den Landfrauen Lippe ist sie seit 25 Jahren Mitglied. Seit einigen Jahren engagiert sie sich im Vorstand auf Orts- und Kreisebene.

Jan Diekjobst (29) ist der erste und einzige Sternekoch im Kreis Lippe. Im Alter von 16 Jahren absolvierte der Detmolder seine Ausbildung zum Koch im Lippischen Hof. Anschließend sammelte er berufliche Erfahrungen in Hamburg, an der Mosel und in Portugal. 2019 hat er den Detmolder Hof, Hotel und Restaurant, übernommen. Zwei Jahre später wurde er mit dem Michelin-Stern ausgezeichnet.

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