Krisenexperte rät Lippern zu Notfallvorrat, Kurbelradio und griffbereiten Dokumenten

Kreis Lippe. Eine eindringliche Warnung hat die Mittelstandsvereinigung OWL zu hören bekommen: &bdquo;Der Blackout kommt - mit einer Wahrscheinlichkeit von 99,9 Prozent. Die Frage ist nur: wann?“. Dieses Zitat gehört Martin Zeidler; und als Abteilungsleiter Krisenmanagement im Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe muss er es eigentlich wissen. Auf seine Expertise hat Dr. Harald Pohlmann, Vorsitzender der Mittelstandsvereinigung (MIT), gesetzt - und neben Zeidler eine hochkarätige Runde auf dem Podium zum Thema Krisenvorsorge zusammengestellt.

Mit Zeidler diskutierten nach der Begrüßung von Gastgeber Dirk Dankelmann, Vorstand der Lippischen Landesbrandversicherung, der OWL-Bezirksbrandmeister Elmar Keuter, Dr. Martin Creutz (Bereichsleiter Provinzial Versicherung) und Meinolf Haase (Fachdienstleiter Bevölkerungsschutz im Kreis Lippe). Zusammenfassend warb Zeidler für eine Renaissance von &bdquo;Denkmustern, die wir nach dem Ende des Kalten Krieges verlernt haben“.

Vorräte für Minimum drei Tage Er selbst habe den Keller so weit mit Wasser und Vorräten gefüllt, dass er drei Tage ohne Strom problemlos verbringen könne, gab Fachmann Zeidler ein praktisches Beispiel. Das sei bei ihm in Köln, wo einige Supermärkte 24 Stunden geöffnet hätten, aber längst nicht bei allen so. &bdquo;Bei vielen ist nicht einmal mehr der Kühlschrank gut gefüllt.“ Auch Kurbelradios oder die Kenntnis der Sirenen-Warntöne würden im Zweifelsfall fehlen.

Natürlich sei auch die öffentliche Hand gefragt, ergänzte Meinolf Haase als Chef des Bevölkerungsschutzes in Lippe. &bdquo;Derzeit haben wir in ganz OWL nicht einen Bunker.“ In der Tat denken Bund, Länder und Kommunen laut Zeidler über die Reaktivierung alter U-Bahn-Schächte als Schutzräume nach. &bdquo;Der Abbau hat Jahre gedauert, der Wiederaufbau wird auch Jahre dauern“, gab Zeidler indes zu bedenken.

Thema für die Schulen? MIT-Chef Harald Pohlmann warb angesichts der näherrückenden (Ukraine) oder häufiger auftretenden (Ahrtal) Krisen und Katastrophen dafür, den Zivil- und Bevölkerungsschutz - wie bereits den Brandschutz - als Unterrichtsinhalt in den Schulen zu verankern. &bdquo;Doch natürlich gibt es da ein mentales Problem“, räumte Abteilungsleiter Zeidler ein. &bdquo;Es ist nicht angenehm, sich damit zu befassen.“

Bezirksbrandmeister Elmar Keuter nannte die in den OWL-Landkreisen und der Stadt Bielefeld aufgebauten sogenannten &bdquo;Leuchttürme“, wo sich Bürger im Katastrophenfall einfinden können . &bdquo;Doch die Flyer dazu stapeln sich“, ärgerte sich Keuter. Kein Wunder, dass Innenminister Thomas de Maizière vor einigen Jahren &bdquo;noch dafür zerrissen wurde, als er dazu aufrief, Fischdosen, Ravioli und Wasser im Keller zu bunkern“, betonte Haase.

Feldmedizin per Hausarzt Martin Zeidler fordert, jeder Bürger müsse die eigene Erwartungshaltung an die Katastrophenhilfe herunter schrauben. Eindringlich erinnerte Bezirksbrandmeister Keuter an den Hochwassereinsatz im Ahrtal. Er selbst sei vor Ort gewesen und habe für die letzten fünf Kilometer zum Einsatzort 14 Stunden gebraucht. &bdquo;Vor Ort gab es keine Rettungs- und Feuerwehrwagen mehr. Der Hausarzt hat Feldmedizin geleistet“, sagte Keuter.

Auch wenn OWL nicht zu den 15 Tälern deutschlandweit gehört, die eine topografische Ähnlichkeit zum Ahrtal aufweisen, wie Martin Creutz von der Provinzial-Versicherung sagte, ist die Region doch betroffen. &bdquo;Steht die Weser noch zwei Meter höher als jüngst, brauchen wir riesige Plätze, um die Hilfe zu koordinieren“, so Keuter.

So wie Helmut Schmidt 1962 Immer wieder wies Martin Zeidler auf die föderalen Strukturen hin. Der Bund sei in vielen Fällen machtlos, etwa wenn, wie von Lemgos Sparkassen-Chef Klaus Drücker eingewandt, im Ahrtal weggeschwemmte Häuser nun an Ort und Stelle wieder aufgebaut würden. &bdquo;Da bräuchten wir Gesetzes- oder sogar Verfassungsänderungen“, warb Zeidler für grenzüberschreitende Koordinierungsstrukturen. Bei der Sturmflut in Hamburg 1962, so Creutz, habe Bürgermeister Helmut Schmidt übrigens einfach an Strukturen und Laufwegen vorbei regiert.

Bis es soweit ist, kann jeder Einzelne bereits einiges tun: Bei Starkregen nicht in den Keller gehen, wichtige Dokumente wie die Hauspolice jederzeit griffbereit haben - oder eben Vorräte anlegen. Fortschritte verschwieg Martin Creutz keineswegs. Aus dem Düsseldorfer Flughafenbrand 1996 habe Deutschland auch einiges gelernt.

&bdquo;Katastrophendemenz“ Auf den drohenden Strom-Mangel stellen sich beispielsweise auch die Lemgoer Stadtwerke ein, wie Geschäftsführer Matthias Sasse ergänzte. Inzwischen sei mit den größten Industriebetrieben in der Stadt besprochen, wer im Fall der Fälle abgeschaltet werden könnte - und nach welcher Vorwarnzeit.

Apropos: Notstrom und Dieselvorräte würden im Fall der Fälle schnell zum Riesenthema. &bdquo;Wo kriegen Ärzte, Apotheken und Supermärkte, die eine Stadt durchaus drei, vier Tage versorgen können, den Strom her?“, fragte Meinolf Haase. Erst vor zwei Wochen seien die zu horrenden Preisen bestellten Notstromaggregate an allen lippischen Rettungswachen angekommen. Für Alten- und Pflegeheime gebe es dagegen keine Vorgaben.

Firmen empfahl Martin Zeidler größere Wasservorräte anzulegen, um im Zweifel die Zivilbevölkerung mit zu versorgen. Ebenso wie Meinolf Haase benutzte auch Zeidler das Wort der &bdquo;Katastrophendemenz“ - wenige Wochen nach einem schlimmen Unglück sei es vergessen und die notwendigen Schlüsse würden nicht gezogen.

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