Von Angriffen und Emotionen: Diese Lipper können nicht ohne Kinder arbeiten

Kreis Lippe. &bdquo;Es braucht zum Teil Jahre, bis sich Dinge lösen.“ Sascha Schwarz und seine Kollegen wissen, dass Kinder und Jugendliche, die in Jungendhilfe-Einrichtungen leben, ihr Päckchen mitbringen. Doch trotzdem - oder gerade deshalb - machen sie den Job so gern. Drei von ihnen erzählen von ihrem beruflichen Alltag.

Sascha Schwarz ist Erzieher und arbeitet als Teamleiter in einer Fünf-Tage-Wohngruppe auf Schloss Varenholz. Seit 25 Jahren ist er dort, kennt also auch noch die Zeit, als das Schloss auch als Privatschulinternat diente. &bdquo;Heute ist es eine Sekundarschule und im Laufe der Zeit immer mehr zur Jugendhilfe-Einrichtung geworden“, erklärt er die Entwicklung. Seit 2017 arbeitet Sascha Schwarz als Wohngruppen-Leitung. &bdquo;Die Kids sind am Wochenende und die Hälfte der Ferien zu Hause.“ Insgesamt 17 Wohngruppen gibt es auf Schloss Varenholz, vier davon als Fünf-Tage-WG. &bdquo;In meiner Gruppe leben neun Jugendliche, alle haben ein eigenes Zimmer“, von Sonntagabend bis Freitagnachmittag wohnen sie dort und werden rund um die Uhr betreut. Wichtig sei eine intensive Arbeit auch mit den Eltern, unter anderem über Hausbesuche. Denn: &bdquo;Die Eltern müssen das schaffen können“, sagt er und meint damit die Betreuung des Kindes am Wochenende und in den Ferien.

&bdquo;Es gibt immer einen guten Grund“ Kinder, die in Jugendhilfe-Einrichtungen leben, haben bereits einiges hinter sich. Manche sind als Jugendliche freiwillig dort hingegangen, andere als kleines Kind in Obhut genommen worden. Wichtig sei, nicht nur diesen jungen Menschen und sein Verhalten zu betrachten, &bdquo;sondern das gesamte Setting drum herum“, weiß der Erzieher. Nur so könne man Verhaltensweisen verstehen und an ihnen arbeiten. Dann erst verstehe man, warum ein Kind in einer bestimmten Situation mit Gewalt reagiert. &bdquo;Es gibt immer einen guten Grund“, ist Sascha Schwarz überzeugt, der bereits selbst von dem ein oder anderen seiner Schützlinge angegangen wurde. Verbale Entgleisungen seien da noch das kleinste Übel.

&bdquo;Die Kids wachsen einem ans Herz“, doch trotz alledem müsse man in dem Beruf seine Rolle klar definieren. &bdquo;Es gibt Familien, die findet man total sympathisch und trotzdem muss man Distanz wahren“, ergänzt Philipp von Platen. Er ist ebenfalls Erzieher und arbeitet in der Jugendhilfe im SOS-Kinderdorf Lippe in einer Ganztagsgruppe. Die Jugendlichen zwischen 13 uns 20 Jahren sind 24/7 da und werden betreut, heißt rund um die Uhr, jeden Tag der Woche. Acht sind es pro Gruppe, &bdquo;wir sind fünf Mitarbeiter im Team, sodass jeder zwei Bezugsjugendliche hat“, erklärt er. Die Bezugsbetreuer halten den roten Faden in der Hand, wissen um Schule, Eltern, was die Kids bewegt. &bdquo;Wir versuchen, auch die Eltern auf dem Laufenden zu halten“, Ziel sei immer die Rückführung, erklärt Philipp von Platen.

Ohne Humor geht es nicht &bdquo;Toll ist es, wenn man einen Draht zu dem Jugendlichen hat“, das mache vieles einfacher. Doch manchmal gebe es Themen, die wolle ein Bewohner nicht mit seiner Bezugsperson besprechen, &bdquo;aber dafür haben wir das Team“. Und manchmal gebe es auch den Fall, dass ein Betreuer mit dem Jugendlichen nicht weiterkomme. &bdquo;Dann werden die Kollegen hinzugezogen und nach Lösungen gesucht.“ Echte Teamarbeit eben, denn ohne gehe es in der Jugendhilfe nicht. Einige Kids seien am Wochenende bei den Eltern, Freunde dürften sie besuchen und nach Absprache auch schon mal in der Einrichtung übernachten. Allerdings: &bdquo;Wir gucken immer, wer der Besucher ist, wie gut wir den bereits kennen.“

Was wichtig ist? &bdquo;Humor“, sagt Sascha Schwarz. &bdquo;Die Kinder können sehr herausfordernd sein, ohne Humor ist das schwierig.“ Zu manchen sei es schwer, eine Bindung aufzubauen. &bdquo;Dann muss man sachlich bleiben“, weiß er, den Kindern Raum und Zeit geben, nachzureifen. Zum Teil brauche das Jahre. Die Themen seien intensiver geworden, Autismus, ADHS, Verwahrlosung, Traumata - &bdquo;wir müssen den Auslöser finden“, betont er. &bdquo;Auch die Anfragen aus der Kinder- und Jugendpsychiatrie werden mehr“, ergänzt Philipp von Platen. Denn manchmal müssten eben auch andere Profis ran, um den Kindern und Jugendlichen zu helfen.

Sie kennt beide Seiten In einem ganz anderen Bereich arbeitet Evelyn Engelhardt: in einem Eltern-Kind-Haus der Fürstin-Pauline-Stiftung. Auch sie ist mittlerweile gut 20 Jahre im Job und weiß ganz genau, worauf es ankommt, kennt sie doch beide Seiten: Sie selbst hat mit ihrer Tochter kurzfristig in einem Mutter-Kind-Haus gelebt. Als junge, alleinerziehende Mutter sei sie aus Nürnberg zurück in ihre Heimat Detmold gekommen, &bdquo;hier brauchte ich eine Anlaufstelle“, erklärt sie.

Drei Monate habe sie mit ihrer Kleinen in der Einrichtung gelebt, sich eine eigene Wohnung gesucht und dann eine Ausbildung zur Kinderpflegerin und weiter zur Erzieherin absolviert. &bdquo;Ich wollte in die Elternarbeit“, erinnert sie sich. Hier werden die Eltern - immer häufiger seien es auch alleinerziehende Väter - begleitet und befähigt, allein mit ihrem Kind zu leben, bekommen Tipps für den Alltag, zum Thema Ernährung, Medienkonsum und vielem mehr. Die meisten lebten zwischen sechs und 24 Monaten in der Einrichtung, auch Plätze für Familien gebe es.

&bdquo;Das Beste ist, dass die Kinder, die bei uns groß werden, ein Ur-Vertrauen aufbauen dürfen.“ Etwas, das ihren Eltern häufig verwehrt geblieben sei, hatten viele doch selbst eine problematische Kindheit. &bdquo;Sie hoffen auf eine heile Familie, die sie selbst nie gesund kennengelernt haben.“ Und im Eltern-Kind-Haus bekämen sie eine letzte Chance, bevor ihre Kinder in Obhut genommen werden. Und auch das passiere ihren Schützlingen - wenn es für das Kind das Beste sei, denn dessen Wohl stehe im Fokus. Das sei selbst für erfahrene Mitarbeiter immer wieder auch eine emotionale Herausforderung, die Abgrenzung zu den Schicksalen sei ein Prozess, &bdquo;das braucht ein paar Jahre“, sagt sie, während die Kollegen ihr beipflichten. Und in einem sind sich alle drei einig: Sie würden den Job jederzeit wieder wählen. Eben ein Beruf, der Sinn stiftet .

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