Interview: Droht auch Lemgo die Haushaltssicherung, Herr Baier?

Lemgo. Seit knapp drei Jahren ist Bürgermeister Markus Baier im Amt. Begonnen hat er mit Corona in schwierigen Zeiten und es scheint nicht leichter zu werden. Den Kommunen drohe eine dauerhafte Schieflage, hat jüngst erst der deutsche Städte- und Gemeindebund gewarnt und auch der Sprecher der lippischen Bürgermeister Dirk Becker (Oerlinghausen) spricht von drastischen Einschnitten. Doch wie sieht es in Lemgo aus? Bürgermeister Markus Baier zeigt sich zuversichtlich.

Herr Baier, Sie sind jetzt drei Jahre im Amt. Täuscht der Eindruck oder werden Sie etwas dünnhäutiger?

Markus Baier (lacht): Dünnhäutig, nein. Das glaube ich nicht. Sicherlich ist die Kommunalpolitik in Lemgo seit der letzten Wahl auch viel bunter und diskussionsfreudiger geworden.

SPD, Grüne und BfL treten immer öfter als Bündnis auf . . .

Baier: . . was sich in letzter Zeit vielleicht in der Sache auch wieder anders zeigt. Aber natürlich wird viel geredet, die Sitzungen sind lang. Manche empfinden das vielleicht als zu lang. Aber eigentlich ist es doch gut, auf der Suche nach Lösungen Meinungen auszutauschen.

Sie sind im Wahlkampf mit den Themen Gewerbegebiete, Verkehr und auch Innenstadt angetreten. Viel scheint sich da aber nicht getan zu haben. Fangen wir mal mit dem Gewerbe an.

Baier: Da hat sich im Hintergrund durchaus viel getan. Leider hat der Rat am Ende der vergangenen Wahlperiode einen meines Erachtens sehr unglücklichen Beschluss gefasst und damit das Zeitfenster verpasst, das Gewerbegebiet Lieme zu erweitern und damit auf einen Schlag auch 300 Arbeitsplätze neu anzusiedeln. Jetzt gibt es mit dem neuen Landesentwicklungs- und Regionalplan aber neue Chancen. Auch gegenüber der Laubke an der Umgehungsstraße wird eine neue Gewerbefläche planerisch vorbereitet. Aber natürlich müssen wir mehr im Bestand arbeiten und auch mehr improvisieren. Aber da haben wir unsere Hausaufgaben gemacht, auch mit Hilfe des neuen Wirtschaftsförderers.

Und das Interkommunale Gewerbegebiet mit Bad Salzuflen? Lebt es noch?

Baier: Das ist im Regionalplan verankert. Es liegt komplett auf Salzufler Stadtgebiet. Da geht es jetzt darum, gegebenenfalls noch andere reinzuholen, vielleicht eine Gesellschaft zu gründen, um Ansprüche und Pflichten zu verteilten. Doch ganz klar, da reden wird von einem Jahrzehnt-Projekt.

Im Umkreis rutschen immer mehr Kommunen in die Haushaltssicherung. Der lippische Bürgermeistersprecher Dirk Becker sprach in einem LZ-Interview davon, dass es die meisten Kommunen treffen werde. Muss auch Lemgo fürchten?

Baier: Sicher kommen auch auf uns schwere Zeiten zu. Doch Lemgo hat im Gegenzug zu anderen Kommunen eine sehr breite Anzahl von Unternehmen, die gut aufgestellt sind.

Zuletzt machten die heimischen Unternehmen durchaus auch mit schlechten Nachrichten von sich reden.

Baier: Das kann man nicht an Einzelfällen festmachen. Bei den einen geht es nur bergauf, andere schwächeln, aber es geht dennoch voran. Lemgo wird nicht nur von wenigen Großen getragen, sondern von ganz vielen kleinen und mittelständischen Unternehmen. Das ist unsere Stärke und spiegelt sich auch in den hervorragenden Zahlen der Gewerbesteuer wider.

Dennoch, Kämmerer Frank Limpke prognostizierte für 2023 eine Neuverschuldung von 4,5 Millionen Euro. Der Schuldenstand der Kernverwaltung der Stadt würde damit auf über 50 Millionen Euro wachsen.

Baier: Die Einnahmen werden auch aufgrund der Rezession in Deutschland weniger. Hinzu kommen die Kosten für soziale Leistungen, die zum Beispiel der Landschaftsverband für uns erbringt. Die sind extrem teurer geworden, durch Inflation oder auch Lohnsteigerung. Da kommen Millionenbeträge auf die Kommunen zu, die mit dem Gemeindefinanzierungsgesetz nicht abgedeckt sind.

Das heißt, Lemgo muss den Rotstift ansetzen?

Baier: Uns kommt zugute, dass wir seit den Krisenjahren vor gut 15 Jahren überaus sparsam waren und das, ohne dass die Lebensqualität eingebüßt hat. Manche haben uns Geiz vorgeworfen, doch das zahlt sich jetzt aus. Unsere Ausgleichsrücklage ist mit die höchste im Kreis und das wird uns helfen, durch die Krise zu kommen. Doch ganz klar: Die Verschuldung zu reduzieren, das wird uns in diesen Zeiten nicht gelingen. Aber wir sollten genauso sparsam und zielgerichtet agieren wie in den letzten Jahren.

Und ja, wir müssen weiterhin investieren. In Schulen, Klimaschutz oder auch die historische Innenstadt - das geben unsere strategischen Stadtziele und teilweise auch die Landes-Gesetze vor.

Und gerade bei den Schulen hat die Stadt ja einiges vor der Brust. Realschule, Marianne-Weber-Gymnasium, Wallschule stehen an, OGS-Ausbau für die Grundschulen. Da muss niemand fürchtet, dass die Maßnahmen auf die Streichliste kommen?

Baier: Die Investitionen in die Schulen sind gesetzt, das ist in den strategischen Stadtzielen festgehalten - auch weil der Nachwuchs unsere Zukunft ist. Allein in die Realschule fließen in einem ersten Schritt rund 20 Millionen, das Ganze dann noch mal in den Altbau. Auch die Pläne für die Grundschulen und die Wallschule laufen. Die Kita Dewitzstraße wird neu gebaut. Aber natürlich müssen wir gucken, wo wir günstigere Varianten wählen können und damit in den kommenden 20 Jahren bei den Ausgaben im siebenstelligen Millionenbetrag bleiben.

Stichwort Verkehr: Auf Gosebrede & Co. bewegt sich wenig. Und das wortwörtlich in der täglichen Rushhour.

Baier: Schnelle Antworten gibt es da einfach nicht. Wir sind dabei, nach 30 Jahren erstmals wieder einen neuen Verkehrsentwicklungsplan aufzustellen. Aber wir leben im ländlichen Raum, da hat fast jeder sein Auto und braucht es meist auch. Ein ÖPNV wie in Hamburg ist da gar nicht finanzierbar. Umfragen und ein Nahmobilitätskonzept sollen Antworten liefern, wie der Verkehrsfluss zu verbessern ist. Aber ob neue Ampelschaltungen, der Verkehrsversuch in der Breiten Straße, Fahrradwege - da passiert so viel, wie die letzten 30 Jahre nicht.

Und die Nordumgehung?

Baier: Wir brauchen die Nordumgehung und haken da als Verwaltung auch immer wieder nach. Straßen.NRW hat seine Stellungnahmen bei der Bezirksregierung eingegeben; Anfang 2024 wird es den nächsten Verfahrensschritt geben, den öffentlichen Erörterungstermin, wahrscheinlich wieder in der Aula vom MWG. Meines Erachtens könnte die Nordumgehung noch in den 2020er Jahren realisiert werden. Doch nur in der Kombination von ÖPNV, Rad und Pkw kommen wir in Lemgo voran - alle gemeinsam als Verkehrsteilnehmer.

Ein Thema, das die Bürger umtreibt, ist der Wohnraum. Der ist auch in Lemgo rar und teuer. Doch die neuen Baugebiete lassen auf sich warten.

Baier: Das hat in der Tat lange gedauert. Ob am Pöstenweg oder an der Südschule. Es gab extrem schwierige Diskussionen mit Politik und Anwohnern. Doch jetzt stehen wir kurz davor, dass es weitergeht. Ich hoffe, im nächsten Jahr sind die Bebauungspläne durch. Auch bei den Wohnprojekten steht einiges an: Kramp und Kramp baut gerade im Hansehof. Und dann gibt es andere genehmigte Wohnbauprojekte, die noch nicht bauen. Die großen Wohnanlagen am Vogelsang oder auch am Langenbrücker Tor, da müssen die Investoren neu rechnen, schließlich sind die Kosten seit Planungsbeginn um rund 40 Prozent gestiegen und auch die Zinsen deutlich angestiegen. Überhaupt gibt es dieses Jahr so gut wie keine Bauanträge in der Stadt. Doch das wird wieder kommen.

Bewegung gibt es derzeit ja durchaus in der Innenstadt. Wenn auch nicht immer im guten Sinne: Mit H&M hat sich ein großer Filialist verabschiedet.

Baier: Da müssen wir uns auch fragen, was der Konsument eigentlich will. Junge Leuten bestellen lieber im Internet. Und Woolworth bringt durchaus mehr Frequenz als der Vormieter C&A. Das ist eine Realität, die wir zur Kenntnis nehmen müssen. Es geht etwas weg vom Handel, hin zu Gastro und vielleicht auch Dienstleistungen. Wir haben neue Fördermittel des Landes für Leerstand beantragt. Die sind dann allerdings zielgerichteter zu vergeben, als es bislang der Fall war. Insgesamt müssen wir gucken, dass wir die Innenstadt bunt und qualitativ hochwertig gestalten. Mit individuellen Läden oder auch mit Konzerten und Veranstaltungen, wie sie zum Beispiel Lemgo Marketing anbietet.

Stichwort Lemgo Marketing. Einer, der die Fußgängerzone seit Jahrzehnten vorangebracht hat, ist Geschäftsführer Wolfgang Jäger. Nächsten Sommer geht er in den Ruhestand, seine Stelle wurde jetzt schon mit Bewerbungsschluss Mitte September ausgeschrieben . . .

Baier: Gute Bewerber aus ungekündigten Stellen stehen eben nicht so schnell zur Verfügung. Das mussten wir auch am Innovation Campus erleben. Anfang Dezember wird der Nachfolger von Jörg Rodehutskors antreten. Wolfgang Jäger könnte für seinen Nachfolger noch den Übergang gestalten. Künftig werden wir wohl auch noch stärker am Tourismus arbeiten. Der Tourismusverband attestierte uns da durchaus noch Potenzial.

SPD-Fraktionsvorsitzender Alexander Baer warf Ihnen bei den jüngsten Haushaltsberatungen vor, keine Visionen zu haben. Hat sie das getroffen?

Baier: (lachend) Das war eine irritierende Rede aus dem Bereich der politischen Folklore und kam wohl bei vielen seltsam an. Ich möchte das von daher gar nicht kommentieren. Die strategischen Ziele der Stadt sind gemeinsam vereinbart und vom Rathaus stark mitgeprägt worden. Mein Stil ist insgesamt eher kommunikativer und ausgleichender Art. Gleichwohl bin ich ja Stadtentwickler von Beruf gewesen und wenn man sich die Beschlüsse der vergangenen Jahre ansieht, sieht man sehr wohl, wo die Stadt hin möchte.

Treten Sie 2025 wieder an?

Baier: Ein ganz klares Ja.

Persönlich Markus Baier ist gebürtiger Franke. Er hat Architektur mit Schwerpunkt Städtebau studiert. Per Fernstudium schob er noch das Studium der Volkswirtschaft mit Schwerpunkt Umweltökonomie nach. 2004 kam er nach OWL, übernahm 2014 den Geschäftsbereich Bauen und Planen der Stadt Lemgo. Als parteiloser Kandidat trat er 2020 als Bürgermeisterkandidat für die CDU an und setzte sich mit 52,8 Prozent der Stimmen durch. Markus Baier ist 50 Jahre alt, verheiratet und hat einen erwachsenen Sohn.

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