„Sind nicht aggressiv“: Das sagen Bettler in Bielefelds Altstadt zur Kritik der Kaufleute

Bielefeld. Die &bdquo;Knackige Stunde“ der Altstadt-Kaufleute ließ jetzt aufhorchen. Unter dem Titel &bdquo;SOS“ – Sauberkeit, Ordnung, Sicherheit – wurde häufigeres aggressives Betteln, Herumlungern von Obdachlosen und mehr Drogenhandel in der Altstadt angeprangert. Es müsse für diese Leute unbequemer werden. Politisch war zuvor über eine Bettelverbotszone gestritten worden, Ergebnis: kommt nicht. Es soll aber verschärft kontrolliert und bestraft werden.

Die Redaktion hat sich tagelang umgesehen: Ja, etwa acht, neun Menschen betteln, fast alle defensiv, viele schweigend. Ein, zwei sprechen Passanten an, nett, unaufdringlich. Eine Frau läuft herum, ist latent aggressiv, ein verwahrloster Mann taumelt lallend durch die Fußgängerzone. Fast alle sind altstadtbekannt, so Alex und David an der Welle, Julia mit ihrem Husky, Thomas an der Kirche und Mark, der gerne vor der NW-Redaktion in Bielefeld nach Geld fragt.

Sie sind oft jahrelang hier, haben ihr soziales Netz aufgebaut. Wir haben sie mit den Vorwürfen konfrontiert. Ihre Antworten überraschen.

Julia mit ihrem Husky: &bdquo;Viele Kaufleute helfen mir“ Eine, die viele kennen, ist Julia mit Husky Nami. Viele sprechen sie an, helfen ihr. Auch Kaufleute. &bdquo;Die aus der Apotheke sind sehr lieb, geben mir Cremes und Pflaster, der Mann von O2 bringt mir Getränke, Klötzer sogar ein Weihnachtspaket, Riemeier hilft mir mit Hundefutter, die vom Starbucks sind auch nett.“

Dass Kaufleute sich über Bettler ärgern, bezieht sie nicht auf sich. &bdquo;Aber wenn ich die aus der Neustadt sehe, die hier rüberkommen, aggressiv betteln, rumlügen, zickig sind, an Leuten herumziehen, dann ärgert mich das, das würde mich auch stören.“ Sie und eine Handvoll anderer Altstadt-Bettler seien anders, &bdquo;wir haben feste Plätze und viele Kontakte“. Man helfe sich auch mal gegenseitig. &bdquo;Das meiste ist bei mir sowieso für Nami.“

Sie könne wegen der Hündin nie lange betteln, &bdquo;Nami hält das nicht lange aus“. Julia weiß, dass sie an ihrer Stelle &bdquo;geduldet ist“. Sie hat eine Wohnung, eine viel zu teure. &bdquo;Ich finde nichts anderes.“ Zwischen Stadt und Jobcenter knirsche es, mittlerweile erhalte sie seit fünf Monaten keinerlei Unterstützung, auch kein Bürgergeld. Krankenversicherung? Fehlanzeige. Gas sei abgestellt, die Vermieterin erlasse ihr aktuell die Miete.

Bielefelder Bettlerin erlebt Gewalt in der Ehe Gewalt in der Ehe habe sie erlebt, nun sei sie ganz unten. &bdquo;Dabei will ich arbeiten, ich suche einen Job, ich bin Altenpflegerin mit Examen, ich kann auch putzen oder Gassi gehen, alles.“ Drogen nehme sie keine, versichert sie. In diese Schublade werde sie schnell geworfen. Das tut weh. Eine Stütze sind ihr die &bdquo;vielen lieben Leute hier“, sagt sie, und leiser: &bdquo;Einmal, als ich länger nicht hier war, hat eine ältere Dame geweint, als sie mich wiedersah, sie hatte mich vermisst.“ Julia wiederholt das fast ungläubig: &bdquo;Mich.“ Das sei &bdquo;ein sehr schöner Moment“ gewesen.

Bekannt ist auch Thomas vielen – er steht vor der Nicolaikirche, der Mann mit Käppi. Kritik an aggressivem Betteln findet er ungerecht: &bdquo;Mache ich doch gar nicht. Wer sagt das? Die aus den Läden hier sind alle nett zu mir, die Passanten auch, fast immer.“ Aber auch ihm ist aufgefallen, dass es plötzlich einige wenige aggressive Bettler gebe, ohne feste Standorte. Die mag er nicht. Er ist anders. Er steht ruhig da und hält einen Trinkbecher für Spenden bereit. &bdquo;Ich laufe keinem hinterher, und wenn einer Nein sagt, ist Nein ein Nein.“

&bdquo;Mit dem Geld von der Straße geht es geradeso“ Er sei Frührentner mit Grundsicherung und Minirente, wohne bei seinem Bruder. &bdquo;Mit dem Geld von der Straße geht es geradeso.“ Betteln sei allemal besser als Klauen.

Das sieht David genauso, er sitzt vorm Welleparkhaus, teilt sich den Platz mit Alex. &bdquo;Klauen heißt Knast, da ist die Straße doch besser.“ Er hat von der Kaufleutekritik gehört; und findet sie ungerecht. &bdquo;Nur weil hier zwei, drei schräge Leute betteln, sind wir sechs, sieben, die immer da sind, doch nicht aggressiv.“ Im Gegenteil, man gehöre doch dazu, sei Teil des Ganzen. &bdquo;Eine Dame sagte mir, dass sie die Kritik nicht verstehe, es gebe doch nie Probleme mit mir und uns.“

Man spreche sich ab über die Orte und Zeiten, frage nie aggressiv, sei ruhig. Er lebe in der Diakonie, habe mal Fliesenleger gelernt, sei nun auf der Straße, beziehe Bürgergeld. Plus das Bettelgeld. So reiche es gerade so. Er warnt vor Überheblichkeit: &bdquo;Jeder hat mal Schicksalsschläge; die einen kommen da gut raus, andere psychisch nicht – das kann jeden treffen, wirklich jeden.“ Er fühlt sich integriert, und sagt: &bdquo;Einige kommen auch gerne zu mir, für ein gutes Gespräch, weil sie etwas loswerden wollen.“

Mark: &bdquo;Plötzlich echt viele Penner und so Crack-Leute“ Immer für ein nettes Gespräch zu haben ist auch Mark, seit 15 Jahren bettelt er in der Altstadt. Anders als Julia und David ist er obdachlos, &bdquo;ich schlafe mal hier, mal da“. Er sieht es wie Julia: &bdquo;Hier kommen plötzlich echt viele Penner vom Bahnhof her, so Crack-Leute und so, das geht gar nicht, die sind voll aggressiv, auch zu uns.“ Am Tisch betteln, ins Portemonnaie fassen – er ist von den &bdquo;Neuen“ genervt. Und fordert Platzverweise, &bdquo;da muss was passieren“.

Die &bdquo;Älteren“ würden respektvoll betteln, &bdquo;ich frage keine Familien mit Kindern und keine älteren Menschen, wo ich sehe, dass die selbst nichts haben“. Sein Motto: immer höflich. Wie viele der &bdquo;Älteren“ freut er sich auch, wenn ihm jemand ein belegtes Brötchen vom Bäcker holt. Mark kam vom Bodensee nach Bielefeld, hatte Jobs bei der Stadt. Tierpark. Grünunterhaltung. Doch es gab Stress, er ging – &bdquo;und parallel habe ich meine Familie und meinen Hund verloren“. Das war zu viel. Durch Schwarzfahrerei landete er im Gefängnis, flog aus der Wohnung. Rutschte durch im System. In Containern zu schlafen lehnt er ab, &bdquo;das ist menschenunwürdig“.

Unterstützung vom Staat lehnt er ebenso ab, &bdquo;ich bin gegen dieses System, da kann ich auch nichts annehmen vom System“. Nur Geld von Passanten, das ist alles, was er hat. Es reiche gerade so zum Überleben, werde aber immer härter für ihn. &bdquo;Dabei komme ich hier wirklich gut mit den Leuten aus.“

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