Wegen Friedwald-Plänen: "Ich habe mir den Ärger meines Lebens eingehandelt"

Blomberg-Höntrup. Frustriert und enttäuscht - so fühlt sich Sonja Volmer seit der Abwahl im September. Lange Jahre hat sie in der Dorfgemeinschaft und als Ortsvorsteherin für Höntrup gesprochen. Ihr langes Schweigen zum Friedwald haben ihr viele Dorfbewohner übel genommen. Das Thema Friedwald liegt seit der Sitzung des Hauptausschusses im August auf Eis .

Bevor die Politiker weiter darüber diskutieren oder eine Entscheidung treffen, soll der Kreis Lippe einen ausführlichen Fragenkatalog beantworten, der derzeit erstellt wird. Es hat gedauert, bis Sonja Volmer über das Thema öffentlich sprechen wollte. Im November wurde sie als Ratsmitglied verabschiedet. Der LZ erzählt sie nun, wie hart die Reaktionen der Höntruper sie getroffen haben.

Lange Zeit haben Sie öffentlich geschwiegen, warum haben Sie sich doch dazu entschlossen, Stellung zu beziehen?

Sonja Volmer: Lange Zeit war ich wirklich sprachlos. Musste ich auch erst einmal verarbeiten. Da war ich mit mir selber noch nicht so wirklich im Reinen und habe darüber nachgedacht, warum ist das jetzt so passiert, wie es passiert ist. Jetzt will ich, dass alle die gleichen Informationen bekommen. Das steht dann da und dafür kann ich geradestehen.

Was ist aus Ihrer Sicht der Grund dafür, dass Sie nach zwölf Jahren als Ortsvorsteherin nicht mehr wiedergewählt wurden?

Volmer : In der LZ stand, 'Sonja Volmer ist der Friedwald auf die Füße gefallen' - letzten Endes ist es so gewesen. Ich habe mich an Absprachen gehalten. Das Thema wurde nichtöffentlich beraten und diskutiert, da konnte ich ja nicht hingehen und öffentlich darüber sprechen. Dafür habe ich mir den Ärger meines Lebens eingehandelt. Man hat mich der Lüge bezichtigt. Man hat mich angegangen, man hat mich regelrecht demontiert. Einige Menschen habe ich in dieser Phase erst richtig kennengelernt - leider im negativen Sinne.

Wie haben Sie auf das Thema Friedwald reagiert, als Sie das erste Mal davon erfahren haben?

Volmer : Der Bürgermeister ist an mich herangetreten und hat mich gefragt, wie ich einen Friedwald in Höntrup sehe. Da hatte ich im Kopf, dass es vielleicht ein bisschen schwierig wäre, weil wir ja erst vor drei Jahren die Pflege des Friedhofs übernommen hatten. Ich habe dann gesagt, dass ich das mit einem Teil der Friedhofsgruppe besprechen würde. Das Ganze ist ja im nichtöffentlichen Teil behandelt worden. Darum habe ich lediglich ausgewählte Leute gefragt, was sie von einem Friedwald halten würden. Die sagten: ja klar, ist doch super, dann haben wir hier eine weitere Bestattungsform. Ich habe die Reaktionen dann an den Bürgermeister weitergegeben.

Wann sind Sie das erste Mal in Höntrup darauf angesprochen worden?

Volmer: Im März gab es eine Versammlung der Dorfgemeinschaft, bei der ich das erste Mal darauf angesprochen worden bin. Da war ich konsterniert. Was machst du jetzt, weil ich ja nicht darüber reden darf. Ich habe dann gesagt, ok, wenn es zu einem Friedwald kommt, dann gibt es auch mit Sicherheit eine Versammlung hier in Höntrup. Dann können wir darüber reden. Das verspreche ich euch, dass ich den Bürgermeister da auch in die Hacken treten werde, dass es diese Versammlung gibt. Danach war erst einmal Ruhe. Ich habe dann nichts weiter gesagt, weil ich ja auch wusste, es sind ohnehin erst jede Menge Genehmigungen einzuholen und keiner weiß, ob die alle erteilt werden. Für mich war es lange nicht so sicher, dass der Friedwald kommt.

Wie erklären Sie sich das, dass die Nachricht so schnell und umfassend im Dorf angekommen ist?

Volmer: Ich habe gehört, dass ein Ratsmitglied einer anderen Fraktion bei einem privaten Anlass darüber geredet haben soll. Da habe ich dann schon dumm geguckt. Ich halte mich an Absprachen, handele mir den Ärger meines Lebens ein, andere tun das nicht. Die Krux an der Geschichte, im Kreis ist das Thema Friedwald in Höntrup teilweise öffentlich behandelt worden. Im Hauptausschuss in Blomberg hat der Bürgermeister hingegen auf Bitten der Friedwald GmbH entschieden, dass das Thema nichtöffentlich behandelt werden soll. Daraufhin wussten einige Dorfbewohner mehr darüber, als ich verraten durfte oder auch selbst wusste.

Wie ging es weiter?

Volmer: Dann wurde im Verlauf des vergangenen Jahres mehrmals im Dorfausschuss über das Thema gesprochen. Ich habe dann, weil es ja schon die Runde gemacht hatte, keinen Sinn mehr darin gesehen, überhaupt nicht über das Thema zu sprechen. Ich habe dann wahrheitsgemäß gesagt, dass es die Pläne gibt, aber noch verschiedene Genehmigungen fehlen. Ich habe mich dafür immer wieder beim Bürgermeister erkundigt.

Wie haben Sie die erste Informationsveranstaltung im Juli zum Friedwald erlebt?

Volmer: Wie sich dort einige Höntruper benommen haben , das war einfach nur peinlich. Ich habe mich teilweise fremdgeschämt. Das haben auch viele andere vor Ort so empfunden. Ich bin schon mit gemischten Gefühlen zu der Veranstaltung, wollte aber auch genau wissen, was dort passiert. Und vor Ort habe ich die Eiseskälte gemerkt. Keiner hat mich gegrüßt oder auch nur beachtet. Das habe ich noch nie erlebt. Ich hatte eigentlich zu jedem ein gutes Verhältnis, schließlich bin ich seit fast 25 Jahren im Vorstand der Dorfgemeinschaft tätig. Und plötzlich erfährt man so was. Da habe ich schon gedacht, oh ha, da geht gründlich was schief. Vieles war auch scheinheilig, weil alle eigentlich mehr oder weniger Bescheid wussten.

Was finden Sie scheinheilig?

Volmer: Etwa eine Handvoll Leute hat das Thema genutzt und die Mehrheit verrückt damit gemacht, was angeblich für Gifte in die Erde kommen. Auch Leute darunter, die ich vorher gefragt hatte, was sie zum Thema Friedwald denken und die das zunächst positiv gesehen hatten.

Welche Gründe führen die Gegner aus Ihrer Sicht unberechtigt an?

Volmer: Höntrup wird ein Totendorf, in Höntrup wird Begräbnistourismus stattfinden, täglich werden Leichenwagen durch das Dorf fahren und einiges mehr. Der Verkehr wird überborden. 20.000 Tonnen Asche werden da verstreut werden. Wenn das so sein sollte, dürfte man ja gar keine Urne mehr auf dem Friedhof beerdigen. Dann wurden plötzlich Vögel angeführt, die dort im Wald brüten. Und ein Friedwald im Wasserschutzgebiet, das gehe ja nicht. Aber keiner sieht, dass das auch für unseren Friedhof zutrifft, der auch im Wasserschutzgebiet liegt. Das sind für mich alles keine Argumente. Das war Aufwiegeln und Meinungsmache. Ich glaube, dass man das als Chance gesehen hat, mich zu demontieren. Ich weiß aber nicht, ob ich mich so wichtig nehmen sollte.

Welche Argumente der Friedwald-Gegner können Sie nachvollziehen?

Volmer: Ich kann nachvollziehen, dass es etwas mehr Verkehr geben wird. Das wäre die einzige Belästigung, die ich mir vermehrt vorstellen könnte. Das Logistikzentrum von Amazon, das in Belle gebaut werden soll, das wird eine viel größere Belästigung, als die Autos, die zum Friedwald fahren. Die Frage der Schwermetalle in der Erde wäre zudem wirklich noch zu klären, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass eine Genehmigung erteilt worden wäre, wenn es Bedenken gäbe. Ich hatte auch Bedenken wegen der Verkehrsentwicklung, aber die Erfahrungen aus dem Kalletal, wo der größte Friedwald von OWL liegt, haben meine Bedenken in dieser Hinsicht zerstreut.

Was war ihr größter Fehler?

Volmer: Ich spreche gar nicht von einem Fehler. Mir wurde von sehr vielen Menschen, auch dem Bürgermeister gesagt: ,Du hast keinen Fehler gemacht, du hast dich an die Regeln gehalten. Das haben andere nicht gemacht. Beim Bürgermeister habe ich schon Druck gemacht unter vier Augen. Ich habe ihm gesagt, dass es in Höntrup zur Sache geht. In der letzten Fraktionssitzung vor der Kommunalwahl habe ich nochmal meinen Parteikollegen ganz klar geschildert, wie ich die Lage in Höntrup sehe. Ich habe auch gesagt, dass ich nicht damit rechne, wiedergewählt zu werden. Das war mir schon klar. Das wollte mir aber keiner so wirklich glauben. Aber ich wusste es. Ich habe Monate zuvor von den Diskussionen in Höntrup erzählt, es ist aber nicht ernst genommen worden. Ich hätte vielleicht noch druckvoller reagieren können. Aber ich sehe keinen Fehler, ich habe mich an die Regeln gehalten. Das habe ich auch versucht, den Menschen hier zu erklären. Das wollte aber niemand hören.

Was haben Sie versucht, um die Stimmung im Dorf umzudrehen?

Volmer: Ich habe mir gesagt, das tue ich mir nicht an. Noch zu den Leuten zu gehen, und mich dann niedermachen zu lassen. Denn so war die Stimmung im Sommer. Da hat sogar der Bürgermeister zu mir gesagt, verstehe ich, lass es lieber. Ich habe meine Flyer verteilt, bin aber nicht von Haustür zu Haustür gegangen. Da muss man erst 62 Jahre alt werden, um sowas zu erleben. Vielleicht hätte ich etwa anders machen, mehr kämpfen können, aber ich war dazu einfach mental nicht in der Lage. Ich wollte auch einen Flyer zur Klarstellung rausbringen, aber das Dorf ist schon gespalten genug und ich möchte nicht noch mehr dazu beitragen.

Sie waren über Jahrzehnte Ortsvorsteherin in Höntrup. Das Amt wird jetzt ein anderer übernehmen. Was war ihr Antrieb?

Volmer: Es war mir immer wichtig, etwas für die Menschen zu machen. Etwas zu gestalten, was fürs Dorf geregelt zu bekommen. Auch Einfluss zu haben. Es war für mich immer interessant, wie Politik funktioniert. Ich habe in der Zeit viel gesehen und gelernt. Wie schwierig das bei manchen Themen sogar in einer Kleinstadt wie Blomberg sein kann. Da kann man manche Dinge in Berlin auch besser nachvollziehen. Das war immer faszinierend, meistens spannend. Auch Dinge mit der Dorfgemeinschaft auf die Beine stellen. Das war viel Arbeit, hat aber auch viel Spaß gemacht. Darum haben mein Mann und ich uns immer gerne engagiert. Da gab es viel Lob und das hat uns viel zurückgegeben. Die Glühweinhütte, das Bosselturnier – schöne Erinnerungen.

Fühlen Sie sich in Höntrup noch zu Hause?

Volmer: Das habe ich mich wirklich ernsthaft gefragt, ob ich hier noch gerne leben will. Momentan ist es so, dass der Kontakt weniger geworden ist. Das Misstrauen ist groß. Es wäre ok, wenn die Menschen mir mit offenem Visier entgegenkommen würden. Mir offen sagen, wie sie empfinden. Aber viele tun das nicht mehr. Das Dorf ist gespalten – das hat sich meiner Meinung nach schon in den letzten Jahren angedeutet, diese Geschichte hat die Gräben tiefer werden lassen. Höntrup ist für mich nicht mehr so wohnenswert, wie es mal war. Ich war integriert und anerkannt im Dorf. Und das ist – habe ich das Gefühl – auch nicht mehr so. Vielleicht ändert sich das auch in einigen Wochen. Ich gucke jetzt einfach, wie es mir geht und weniger, wie geht es anderen. Das habe ich früher nie gemacht, aber mittlerweile denke ich da anders. Ich bin nicht verbittert, aber ich bin tief enttäuscht.

Wie geht es für Sie weiter?

Volmer: Die Entscheidung der Wähler akzeptiere ich natürlich. Ich bin aber zurzeit noch Vorsitzende der Dorfgemeinschaft. Zu den Fraktionssitzungen der SPD werde ich auch weiterhin gehen. Ich bin ja nicht tot. Ich möchte wissen, was in Blomberg noch los ist und mitmischen. Die Verletzungen und Enttäuschungen – das wird noch bleiben. Mein Mann und ich haben jetzt viel mehr Zeit füreinander und haben uns vor einiger Zeit einen Wohnwagen gekauft. Damit wollen wir öfter in den Urlaub fahren, wenn Corona das wieder zulässt. Früher hat mein Sitzungskalender den Takt vorgegeben. Zwei bis drei Termine in der Woche waren normal. Jetzt ist das eben anders.

Die Stadt Blomberg hat im Nachgang zur Informationsveranstaltung die Genehmigung des Kreises Lippe online gestellt.

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