Giftiger Boden: Lemgo startet in zweite Sanierungsstufe

Lemgo. Über Jahrzehnte sind giftige Stoffen in den Boden gesickert und bis in das Grundwasser gelangt - in Teilen vom Slavertorwall und am Alten Wallkanal sind Wasser und Erde mit Leichtflüchtigen Chlorierten Kohlenwasserstoffen verseucht. Erst als ein Investor 2006 die alte, leerstehende chemische Reinigung abreißen und einen Neubau errichten wollte, fielen die Stoffe bei Bodenproben auf - doch wie weit sich die Abwässer aus der chemischen Reinigung bereits verbreitet hatten, das ahnte man damals noch nicht.

2010 folgten weitere Untersuchungen. Die ergaben: Die Gifte hatten sich weiter verteilt. Zwar bestand noch keine gesundheitliche Gefahr für die Bürger, doch über das Grundwasser drohten sich die Substanzen weiter auszubreiten, so dass die Sanierung immer drängender wurde. Als Experte wurde der Verband für Flächenrecycling und Altlastensanierung ( AAV ) herangezoge n, dessen Mitglieder unter anderem Kreise, Städte und das Land NRW sind. Damit nahm Mitte des vergangenen Jahrzehnts ein Sanierungsprojekt seinen Anfang, das die Lemgoer vermutlich auch noch die kommenden Jahrzehnte begleiten wird.

Im jüngsten Klima- und Umweltausschuss stellte Dr. Engelbert Müller vom AAV den Stand der Arbeiten vor. So ist der erste Teil der Sanierung abgeschlossen. Dafür wurde 2020 die alte Wäscherei an der Neuen Grabenstraße abgerissen und Anfang 2021 der verseuchte Boden in der ersten Sanierungszone aus dem Slavertorwall gezogen und durch frische Erde ersetzt. Riesige Bohrer kamen dafür zum Einsatz, die gut 190 Löcher in den Boden fraßen - mit einem Durchmesser von rund 1,5 Metern. Streng geschützt unter Pavillons wurden rund 4000 Tonnen kontaminierte Erde ans Tageslicht gefördert und direkt auf die Sondermülldeponie gebracht.

Anwohner waren besorgt Acht Wochen dauerten die zum Teil sehr lauten Arbeiten, die den Anwohnern am Wall einiges abverlangten . Doch Befürchtungen, dass die Häuser durch den Druck der Bohrungen Schaden nehmen könnten, haben sich nicht erfüllt. "Es gab nur kleinere Schäden, die mittlerweile behoben sind und auf den Abriss der alten Reinigung zurückzuführen sind", wie Dr. Engelbert Müller auf Nachfrage erklärt. Das ist Geschichte. Mittlerweile ist der Wall wieder frei gegeben, neue Bäume sind gepflanzt . Doch die eigentliche Bodensanierung, die ist noch längst nicht abgeschlossen.

Denn jetzt laufen die Planungen für den zweiten Teil der Sanierung an, wie Dr. Müller erklärt. Die sehen mehrere Schritte vor. So werden in der Zone, in der zuvor noch die Bohrer wühlten, Brunnen für die so genannte in-situ (vor Ort) Sanierung gebohrt. Über die wird dem Grundwasser langfristig Kaliumpermanganat zugeführt - ein Reagenz, wie Dr. Müller erläutert, das letztlich zur chemischen Oxidation, also dem Abbau der Giftstoffe führt. Wann die Brunnen gebaut werden und in Betrieb gehen können, dazu will er noch keine Aussage treffen. Frühestens aber ab 2024.

Weitere Maßnahmen sind auch entlang des Grüngürtels am Wall von der ehemaligen chemischen Reinigung aufwärts Richtung Uhlenstraße geplant. Dort soll eine mikrobiologische Sanierung erfolgen. Dafür wird eine Pflanzenölinfusion über Schläuche bis zu zwei Meter tief in das Erdreich gespritzt. Die milchige Substanz animiert die Bakterien im Grundwasser zum Wachstum und damit auch dazu, die Schadstoffe aufzufressen. Eine minimalinvasive Lösung - einmal an verschiedenen Stellen injiziert, wird alles weitere den Bakterien überlassen. Messstellen zeigen dann auf, inwieweit es sich die Kleinstlebewesen gut ergehen lassen und damit auch die Schadstoffbelastung in Wasser und Boden reduzieren.

Als dritte Maßnahme letztlich ist die so genannte Abstromsicherung geplant. Dafür werden je acht Brunnen an der Neuen Grabenstraße und weitere acht am Wall gebaut. Über die Entnahmebrunnen wird das Wasser an der Neuen Grabenstraße aufgenommen, im Bereich der alten Wäscherei gereinigt und dann den Schluckbrunnen am Slavertor wieder zugeführt. Die Brunnen selbst werden für Passanten kaum ersichtlich sein. Lediglich Kappen im Boden weisen auf ihr Vorhandensein hin.

Schadstoffe schon deutlich reduziert Die drei Maßnahmen werden derzeit im Paket geplant, wann die einzelnen Schritte umgesetzt werden, vermag Dr. Müller noch nicht zu sagen, wohl aber, dass die Brunnen über Jahre bis Jahrzehnte in Betrieb bleiben werden. Das hänge letztlich auch von den Ergebnissen ab. Ziel sei es, Boden und Erdreich wieder weitgehend schadstofffrei zu hinterlassen. Ein Groß- und Langzeitprojekt, das der AAV irgendwann in die Regie der Stadt Lemgo übergeben wird.

Positive Entwicklungen gebe es jetzt schon aus dem Bereich zu melden, an dem die Großbohrer ihre Arbeit taten. Die Gift-Konzentration im Boden habe sich dort stark reduziert. 3,6 Millionen Euro wurden allein für diese Maßnahme veranschlagt, wie viel in das Gesamtprojekt fließen, das vermag Dr. Müller derzeit noch nicht zu kalkulieren. Immerhin: 80 Prozent der Kosten trägt der AAV und damit das Land, den Rest teilen sich Kreis und Stadt Lemgo. Den Verursacher der Kontaminierung können sie nicht mehr belangen. 2000 ging der Reinigungsbetrieb in Konkurs, der Inhaber ist mittlerweile verstorben.

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