Herforder Polizistin schwer verletzt: Rollerfahrer zu überraschend hoher Haftstrafe verurteilt

Herford. Schwarze Hose, schwarzer Pullover, darüber eine schwarze Winterjacke. Mit gefalteten Händen sitzt er auf der Anklagebank des Herforder Schöffengerichts, spricht hin und wieder kurz mit seinem Verteidiger, Stefan Kruse. Der 50-Jährige mit den grau melierten Haaren ist der Rollerfahrer, der am 11. Juli vor einer Kontrolle flüchtete und dabei eine Polizeibeamtin schwer verletzt haben soll (die NW berichtete). Im Saal 309 wird ihm am Freitagmorgen vor dem Schöffengericht unter Vorsitz von Richterin Alea Blöbaum der Prozess gemacht.

Schwerwiegende, gesundheitliche Folgen Der Tatvorwurf wiegt schwer und lautet auf Verkehrsunfallflucht, vorsätzliche Straßenverkehrsgefährdung, Urkundenfälschung und fahrlässige Körperverletzung. Zunächst ging die Mordkommission von einem versuchten Tötungsdelikt aus, allerdings konnte dieser Tatvorwurf nicht gefestigt werden. Dennoch sind die körperlichen Folgen für die Polizistin gravierend. Noch immer ist sie nicht dienstfähig, ist gesundheitlich eingeschränkt. So ist sie seit dem Unfall auf dem linken Ohr taub. Ob sie je wieder hören kann, wird erst nach einer Operation, die in der nächsten Woche geplant ist, feststehen. Ständige Kopfschmerzen, der Verlust des Kurzzeitgedächtnisses und Gedächtnislücken sind weitere Folgen der erlittenen Gehirnblutung und des Schädelbasisbruchs, für die der Rollerfahrer laut Ansicht des Gerichts verantwortlich zeichnet.

Der 50-Jährige lässt über seinen Anwalt mitteilen, dass von einer Kollision mit der Polizistin keine Rede sein könne. Vielmehr habe sie ihn "mit weit aufgerissenen Augen angeschaut", sei dann - ohne jeden Kontakt - aus dem Gleichgewicht geraten und nach hinten gestürzt, als beim Fluchtversuch das Vorderrad des Rollers in die Höhe schnellte. Diese Aussage des Angeklagten wird durch ein Gutachten eines DEKRA-Sachverständigen allerdings widerlegt. Anhand von Skizzen und Luftbildaufnahmen sowie einer Videoauswertung konnte festgestellt werden, dass es zu einer Kollision gekommen sein muss, so der Experte. Anders wäre das Verletzungsmuster nicht erklärbar, ebenso wenig die sichergestellten Spuren am beschädigten Dienstbulli.

Auch die Zeugenaussage ihres Kollegen ist eindeutig. Als er sie bewusstlos auf dem Boden liegend fand, habe sie kurzzeitig das Bewusstsein wieder erlangt und mehrfach zu ihm gesagt: "Der hat mich einfach umgefahren", bevor sie wieder ohnmächtig wurde. Ein weiterer Gutachter der DEKRA kommt zu dem Schluss, dass die Kollisionsgeschwindigkeit, mit der der Roller die Polizistin erfasst haben muss, bei 17 bis 18 Stundenkilometern gelegen haben muss.

Die Frage der Verletzungen Das will Strafverteidiger Stefan Kruse nicht hinnehmen und gibt zu bedenken, dass dann doch eigentlich auch Hämatome oder ähnliche Verletzungen im Brust- oder Bauchbereich des Opfers vorgelegen haben müssten, diese aber nicht festgestellt wurden. Das sei ein Irrglaube, kontert Stefanie Schlepper von der Rechtsmedizin Münster. Sie ist als Sachverständige geladen und führt aus, dass es bei einer Kollision nicht zwingend zu Hämatomen kommen müsse.

Angeklagter mit 18 Vorstrafen Nachdem die Beweisaufnahme abgeschlossen ist widmet sich das Schöffengericht den Vorstrafen des Angeklagten, der aktuell als Aushilfe in einer Zeitarbeitsfirma arbeitet. 18 Voreintragungen werden verlesen, zahlreiche, ursprünglich zur Bewährung ausgesetzte Strafen, waren widerrufen worden. Die Taten, für die der Mann verurteilt wurde, reichen von Hehlerei über Diebstahl, Verkehrsunfallflucht, gefährlicher Körperverletzung bis hin zu Brandstiftung und Drogen-Delikten.

Die Staatsanwaltschaft beantragt schließlich eine Gesamtstrafe von einem Jahr und sechs Monaten Haft - und zwar ohne Bewährung. Der Verteidiger der Nebenklage, Achim Depenbrock, schließt sich dem Strafmaß an, gibt aber in Richtung der Vorsitzenden zu bedenken, dass seine Mandantin vielleicht nie wieder in den Streifendienst zurückkehren könne und auch die seelische Verletzung hinzukäme. Er hoffe, dass das entsprechend berücksichtigt werde.

Zwei Jahre und zwei Monate Haft Nachdem sich das Gericht zur Beratung zurückgezogen hat, verkündet die Vorsitzende Richterin das Urteil, das über das von der Anklage geforderte Strafmaß hinausgeht: zwei Jahre und zwei Monate Haft. Da Urteile ab zwei Jahren nicht mehr bewährungsfähig sind, bedeutet das für den 50-Jährigen, dass er diese Strafe tatsächlich absitzen muss. Das Urteil ist aber noch nicht rechtskräftig, Rechtsanwalt Stefan Kruse hat jetzt eine Woche Zeit, Rechtsmittel gegen das Urteil einzulegen. Ob er das tun wird, ließ er offen.

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